Anlässlich des Welthospiztages führte die Berliner Morgenpost ein ausführliches Gespräch mit unserem Geschäftsführer Philipp Freund vom Ricam Hospiz. Im Interview sprach er über die Bedeutung der Hospizarbeit, aktuelle Herausforderungen sowie darüber, wie wichtig Mitmenschlichkeit und Würde am Lebensende sind.
Berliner Morgenpost | 11.10.2025, 06:00 Uhr
Die Lebenden & die Toten: Im letzten Zimmer des Lebens
Berlin. Philipp Freund begann mit 16 Jahren als Pfleger und ist inzwischen Hospiz-Geschäftsführer. Der Tod vermag auch ihn noch zu überraschen.
Von Andreas Kurtz
Immer wieder begegne ich Hinterbliebenen, denen eines in der Grabrede auf ihren geliebten Menschen besonders wichtig ist: der ausdrückliche Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizes, in dem der Verstorbene die letzten Tage oder Wochen verbrachte. Weil das Team dieser Einrichtung dem Bewohner Schmerzen und die Angst vor dem Sterben nahm. Und den Hinterbliebenen die beruhigende Gewissheit vermittelte, dass sie das Richtige getan haben, indem sie die Pflege zum Schluss Fachleuten anvertrauten. Das bedeutet ja nicht, den Menschen abzuschieben. Im Gegenteil — durch diese Entscheidung gewinnt man mehr Zeit für das Zwischenmenschliche, weil sich Profis um die besonders anstrengende Pflege kümmern. Dass Philipp Freund, Jahrgang 1975, einmal Leiter eines Hospizes werden würde, wundert niemanden, der seinen Lebensweg kennt. Die Familie bewohnte zwei Wohnungen mit Ofenheizung in Hermesdorf, seine Mutter, eine Krankenschwester, baute in den Siebzigern eine der ersten Sozialstationen auf. Und weil man zu Hause Platz hatte, wurden anfangs pflegebedürftige Menschen dort aufgenommen. „Ich bin mit der Erfahrung groß geworden, dass Pflege und familiäres Umfeld, auch wenn das nicht die Originalfamilie ist, ein ganz gutes Modell sein kann, um Menschen zu entlasten.”
Die erste Begegnung mit dem Tod hatte Philipp Freund als Kind: „Die Nachbarin, eine ältere Dame, um die sich meine Mutter gekümmert hatte, war gestorben. Und ich registrierte die ganz besondere Unruhe, die dadurch im Haus war.” Ein Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit stellte sich bei dem kleinen Philipp früh ein: „Kriegsbilder in einer Nachrichtensendung, ich war da vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, hatten mich ziemlich aufgewühlt. Ich legte mich in der Nacht danach nicht in mein Bett, sondern daneben auf den Boden. Wenn die Menschen im Krieg kein Bett haben, warum ich?”

Philipp Freund | Foto (c) Christian Schulz
Seitdem kennt er das Gefühl der Endlichkeit. Als Geschäftsführer der Ricam Hospiz gemeinnützige GmbH, die zwei stationäre Hospize in Neukölln und Rudow, ein Tageshospiz und einen ambulanten Hospizdienst betreibt, muss Philipp Freund nicht lange nachdenken, um die Frage zu beantworten, was ein gutes Hospiz leistet: „In erster Linie sollte das ein Ort der Sicherheit und der Klarheit sein. Hospize können nicht alles Leid und alle Trauer nehmen, aber sie können einen Raum schaffen, über Trauer zu sprechen, über das Ende zu sprechen, das Ende anzunehmen. Und natürlich werden schwerwiegende Symptome gelindert und somit das Leben hoffentlich zu einem guten Abschluss gebracht.”
Auch wenn er ihm schon oft begegnete, kann der Tod Philipp Freund noch überraschen: „Im professionellen Kontext gibt es immer wieder solche Momente, also gerade ist Hospiz, wo man ja keine lebensverlängernden Maßnahmen ergreift. Da stirbt dann jemand viel schneller als erwartet nicht an seiner onkologischen Erkrankung, sondern an einer Embolie oder einem Herzinfarkt. Das ist für alle sehr aufwühlend. Und natürlich überrascht mich der Tod auch in meinem privaten Umfeld.”
Wie ein Mensch stirbt, hat nach der Erfahrung von Philipp Freund damit zu tun, wie der sein Leben gelebt hat: Vieles vom eigenen Leben spiegelt sich auch im Sterben wider. Da zeigt sich dann, ob ich mein Leben auch genutzt habe, mich auseinanderzusetzen, oder eher verdrängt habe. Da scheinen ungelöste Konflikte auf. Und plötzlich sehen sich Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, mit der Angst konfrontiert, Menschen wiederzubeginnen, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.” Immer wieder gibt es Wünsche, die einander widersprechen: „Da heißt es dann: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, das soll jetzt bitte ganz schnell gehen. Und im nächsten Augenblick: Die Hochzeit meiner Tochter in sechs Monaten möchte ich aber noch erleben. Und für die soll dann noch schicke Kleidung besorgt werden.” Es gibt aber auch die große Klarheit Da hängt dann Kleid oder Anzug, das oder den die Bewohnerin oder der Bewohner nach dem Tod angezogen bekommen möchte, offen im Zimmer.
Die Erkenntnis, dass jeder Mensch anders ist, trifft auch auf die Gäste eines Hospizes zu. Manch einer oder eine hat sich kaum im letzten Zimmer seines Lebens eingerichtet, da ist der Aufenthalt schon wieder beendet. Was Blumen vor der Tür den Mitbewohnern anzeigen. Auf etwa drei Wochen Aufenthalt kommen viele der Gäste. Es gibt aber auch einzelne Bewohner, die sich erholen und für die dann eine andere Form der Unterbringung gesucht werden muss. Sie schaffen etwas, was den meisten nicht vergönnt ist: Sie überleben das Hospiz.
Wie er selbst einmal sterben möchte? Philipp Freund hat da ein Vorbild: „Ein älterer Herr, ehemaliger Opernsänger, den ich in der häuslichen Krankenpflege betreuen durfte. Er spielte wunderbar Klavier und hatte seinen genau strukturierten Tagesablauf, zu dem auch ein Mittagsschlaf gehörte.”
Einmal endete dieser Mittagsschlaf eben nicht. „Das würde mir auch gefallen.”

Andreas Kurtz