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Was macht ein ambulanter Hospizdienst?

Barbara-Beuth-vor-dem-ambulanten-Hospizdienst-am-Kranoldplatz-in-Berlin-Neukölln

Das stationäre Ricam Hospiz in der Delbrückstraße in Neukölln ist vielen bekannt. Doch da gibt es doch noch etwas – nur zwei Straßenecken weiter am Kranoldplatz: der ambulante Hospizdienst d.E.L.P.H.i.N. der Ricam Hospiz gGmbH.
Hospizdienste sind keine Pflegedienste. Hier geht es um die Beratung und ehrenamtliche Begleitung von schwerkranken Menschen am Ende ihrer Lebenszeit, und zwar vor allem zu Hause. Die meisten Menschen wünschen sich im Fall schwerer Krankheit – zu Hause bleiben und auch sterben zu können, in gewohnter Umgebung, in der Gegenwart vertrauter Menschen und in jeder Hinsicht gut versorgt. Aber die Realität sieht anders aus. Deswegen ist es so wichtig, Familien darin zu bestärken und zu unterstützen, damit es kein Hin und Her zwischen Wohnung und Krankenhaus gibt, wenn eine Krankheit rasch fortschreitet und es deutlich wird, dass das Ende des Lebens naht. Dabei geht es meistens um Menschen mit einer Krebserkrankung, aber es können auch Patienten mit neurologischen (z.B. ALS oder MS) oder Lungenerkrankungen (COPD) sein. Neben einer guten ärztlichen und pflegerischen Versorgung braucht es dann oft Beratung zu verschiedensten Themen und – Zeit. Zeit zum Zuhören, vielleicht Zeit für einen kleinen Spaziergang oder einfach das Da-Sein für jemanden, ohne Worte. Krankheits- oder altersbedingt ist die Kommunikation mit Worten nicht selten nicht mehr möglich – und doch kann es einen intensiven Kontakt geben. Und das Gefühl, nicht allein zu sein, mindert emotionale Not enorm.
In unserem ambulanten Hospizdienst sind vier Koordinatorinnen tätig, drei von ihnen sind sehr erfahrene Krankenschwestern, eine ist Sozialpädagogin mit therapeutischer Ausrichtung. Ihre Aufgaben sind die Beratung – und zwar sowohl erkrankter Menschen als auch der Angehörigen – zu verschiedenen medizinischen, pflegerischen, psychosozialen und spirituellen Fragen. Das hört sich sehr allgemein an. So kann es zum Beispiel darum gehen, ein Arztgespräch noch einmal zu reflektieren um zu verstehen, wieviel Lebenszeit noch bleibt. Oft geht es um die Sorgen von Angehörigen, um ihre Angst vor dem, was kommen wird. Und auch Trauer spielt eine große Rolle – Trauer darüber, einen vertrauten, wichtigen Menschen bald zu verlieren, verbunden mit der Frage, wie diese letzte gemeinsame Zeit gut gestaltet werden kann. Diese Gespräche werden nicht nur durch die Koordinatorinnen geführt. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen verbringen bedeutend mehr Zeit in den Familien, in der Regel jede Woche einige Stunden. So werden gerade sie zu vertrauten Bezugspersonen, mit denen die Themen Sterben und Tod oft besser besprochen werden können als mit Familienmitgliedern, sofern es überhaupt welche gibt. Im letzten Jahr wurden in unserem ambulanten Hospizdienst fast 200 Sterbebegleitungen geleistet. Die kürzeste dauerte einen Tag. Der Begleitungsdurchschnitt liegt bei weniger als drei Monaten.
Es standen uns etwa 70 Ehrenamtliche zur Verfügung. Damit sie gut auf die verschiedenen Situationen und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen, denen sie begegnen, eingehen können, werden sie in Kursen auf dieses besondere Ehrenamt vorbereitet. Dabei geht es zuallererst darum, sich mit den eigenen Erfahrungen im Hinblick auf Verluste und Trauerprozesse auseinander zu setzen. Wir erleben ja nicht nur den Verlust von Menschen, sondern z.B. auch von Gesundheit oder Lebensperspektiven. Auch das ist mit Trauer verbunden. Die Fähigkeit zu trauern tragen wir in uns, sind uns dessen aber oft nicht (mehr) bewusst. Dann machen sich Unsicherheit und Angst breit, wenn ein Verlust droht. Der Blick auf die eigenen Lebenserfahrungen hierin stärkt uns. Und wenn wir uns selbst sicher fühlen, können wir auch in ähnlichen Situationen mit anderen Menschen gut reagieren und wahrnehmen, worauf es gerade ankommt.
Oft werden Ehrenamtliche gefragt, warum sie sich das „antun“, weshalb sie sich gerade in solch einem „traurigen, trostlosen“ Bereich freiwillig engagieren. Die Antwort lautet oft: „Weil wir auch viel zurück bekommen.“ Das kann die – ganz unterschiedlich ausgedrückte – Dankbarkeit sein oder die Erfahrung, Menschen in einer zweifellos schweren Zeit hilfreich zur Seite gestanden zu haben. Es ist ein sehr Sinn stiftendes Ehrenamt. Nicht zuletzt deswegen bleiben viele Sterbebegleiter*innen über Jahre hinweg bei uns, durchschnittlich fünf Jahre. Es können aber auch 20 werden.
Eine unserer Aufgaben ist es, die bzw. den passende/n Ehrenamtliche/n für die jeweils anfragenden Patient*innen oder Angehörigen auszusuchen. In der Tat ist das die „hohe Kunst“ der Koordination. Sie setzt zum einen Lebenserfahrung und Menschenkenntnis voraus, zum anderen aber auch einen guten Kontakt mit den Ehrenamtlichen. Dieser beginnt bereits in den Vorbereitungskursen, an denen die Koordinatorinnen immer beteiligt sind. Hier erleben sie die Teilnehmer*innen in unterschiedlichen Situationen. Dabei entstehen erste Ideen, wie und wo jemand später gut eingesetzt werden kann. Auch werden besondere Einsatzwünsche erfragt. Nach Abschluss der Kurse gibt es monatliche Treffen mit den Koordinatorinnen vor den Supervisionen. Und natürlich bringen es viele Telefonate und persönliche Treffen sowie der Austausch im Team mit sich, dass wir „unsere Ehrenamtlichen“ gut kennen. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen möchte ich gewährleisten, dass unsere Ehrenamtlichen sich durch uns immer gut begleitet und betreut fühlen und dass sie sich vertrauensvoll mit allen Fragen zu ihren Begleitungen an uns wenden.
Seit Dezember 2018 habe ich die Leitung des ambulanten Hospizdienstes inne. Zuvor habe ich mehr als zehn Jahre in einem ambulanten Kinderhospizdienst gearbeitet. Manches ist ähnlich, aber es gibt doch auch große Unterschiede. Die teilweise sehr kurzen Begleitungen, die einen Beziehungsaufbau nur sehr begrenzt zulassen, ist einer davon. Es gilt gut hinzuschauen was Ehrenamtliche brauchen, damit sie nach dem Versterben eines Menschen einen guten Abschluss finden und wieder in neue Begleitungen starten können. Ambulante Hospizdienste für Erwachsene werden meist erst hinzugezogen, wenn eine Erkrankung schon weit fortgeschritten ist und nur noch wenig Lebenszeit bleibt. Das ist dann eine sehr intensive Phase für alle Beteiligten, in der vielleicht noch Dinge erledigt, besprochen oder geklärt werden können – oder aber auch nicht mehr. Das gilt es dann auszuhalten und mitzutragen. Den eigenen Impulsen, Angelegenheiten klären zu wollen oder dabei zu helfen, weil man es für wichtig hält, nicht nachzugeben – auch das Lernen Ehrenamtliche im Vorbereitungskurs. In Familien mit erkrankten Kindern können die Begleitungen schon dann beginnen, wenn die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung gestellt wird. Dementsprechend dauern Begleitungen viel länger, manchmal sogar Jahre. In dieser Zeit geht es für die Ehrenamtlichen vor allem um die Unterstützung des Alltags und die Entlastung der Eltern. Krisen kommen seltener vor, und auch mit dem Sterben sind die Ehrenamtlichen in einem Kinderhospizdienst weniger konfrontiert.
Was mich im Ricam sehr beeindruckt ist, dass Haupt- und Ehrenamtliche sich so selbstverständlich auf Augenhöhe begegnen. Bei Veranstaltungen wie der Jahreshauptversammlung sind Ehrenamtliche dabei und bringen sich ein, den Jahresauftakt feiern wir gemeinsam. Das finde ich großartig. Meine Erfahrung aus über 20 Jahren Arbeit mit Ehrenamtlichen ist, dass ehrenamtlich engagierte Menschen wahre Schätze für Organisationen sind.
Während ich dies schreibe, sind zwei Kolleginnen zu Hausbesuchen unterwegs. Zwei andere telefonieren im Büro nebenan. Sie erkundigen sich nach den Begleitungen, hören genau zu, geben Anregungen, vermitteln Sicherheit. Wenn ich sie am Telefon länger nicht sprechen höre sind sie meist mit Angehörigen im Gespräch und geben ihnen durch das Zuhören einen Raum, ihre Trauer auszudrücken. Dieses Da- Sein gehört zum Kern der Hospizarbeit. Es ist etwas, das uns miteinander verbindet.