Magazin

„Mich baut die ehrenamtliche Sterbebegleitung eher auf“

Hanna, du engagierst Dich ehrenamtlich in der Sterbebegleitung. Reibt Dich diese Form des Ehrenamtes nicht extrem auf?
Hanna Siebecke (lacht): Also, ich nehme es nicht mit in den Schlaf. Da kann ich mich gut abgrenzen. Mich baut die ehrenamtliche Sterbebegleitung eher auf. Klar, in manchen Familien, in die ich komme, gerade hier in Neukölln, da geht es auch ziemlich ruppig zu. Eine Frau, die ich begleitet habe, wurde von ihrem Sohn versorgt. Er war drogenabhängig – dennoch machte er es so gut er konnte, war sehr ordentlich und sorgfältig. Manchmal saßen wir zu dritt am Küchentisch und spielten irgendein Brettspiel. Sie nannten mich nie beim Namen. Sie sagte „die nette Frau“ zu mir und der Sohn nannte mich auch so. Vieles war so schwierig in dieser Familie, aber in diesen Momenten am Küchentisch, da ging es ihnen gut. Und das ist es, was mich aufbaut und was ich persönlich unter anderem daraus ziehe – sterbenden Menschen und ihren Angehörigen diese Augenblicke zu ermöglichen.
Wie bist du denn dazu gekommen, ehrenamtlich Sterbende zu begleiten? Um dieses Thema machen doch viele eher einen Bogen. Früher habe ich mich damit auch nicht beschäftigen wollen. Mein Mann ist gestorben als meine Tochter gerade mal etwas mehr als ein Jahr alt war. Später erkrankte eine gute Freundin von mir an Krebs. Wir haben sie in unserem Freundeskreis immer abwechselnd besucht. Sie musste rund um die Uhr betreut werden. Immer hatte sie jemanden bei sich. Kurz vor ihrem Tod war ich noch bei ihr. Diese Erfahrungen mit dem Sterben haben mich sehr geprägt. Und dann kommt hinzu, dass ich in beruflichen und ehrenamtlichen Zusammenhängen immer mehr Distanz zu Menschen hatte, nicht so dicht dran war. So war ich im Gemeinde-Kirchenrat entfernter als jene, die beispielsweise direkt Obdachlosen helfen. Und irgendwann regte sich das Bedürfnis, mal direkt in der ersten Reihe aktiv zu sein.

Wie hast du dich auf die ehrenamtliche Sterbebegleitung vorbereitet?
Vor 9 Jahren habe ich im Ricam Hospiz einen zirka einjährigen Vorbereitungskurs absolviert. Eine Freundin arbeitete hier bereits und hat mich über den Kurs informiert. Das Ricam war für mich am besten erreichbar. Und im Kurs wurde mir schnell klar, dass ich das unbedingt machen möchte. Der Kurs hat mir viele Impulse gegeben und ich bin sehr gut auf die Sterbebegleitung vorbereitet worden. Ende 2011 habe ich dann begonnen, Sterbende ehrenamtlich zu begleiten.

Wie sahen deine ersten Erfahrungen aus?
Einen meiner ersten Hausbesuche habe ich noch gut in Erinnerung. Ich hatte einen Termin mit einer krebskranken Frau. Wir hatten uns bei ihr zu Hause verabredet. Sie lebte allein und hatte ihre Wohnung völlig vernachlässigt. Die Wohnungstür ging nur einen Spalt auf, so dass ich kaum reinkommen konnte. Die Frau war völlig überfordert, hatte mit ihren Beschwerden zu tun und war gar nicht mehr in der Lage, den Haushalt zu besorgen. So habe ich erst einmal organisiert, dass dort aufgeräumt wurde. Sie war so glücklich darüber und befreit von dieser Last. Wir konnten danach spazieren gehen, haben uns auch mal in ein Café gesetzt, und einmal hat sie sich neue Kleidung kaufen wollen und mich gebeten mitzukommen. Also diese ganz normalen Dinge. Die waren wieder möglich. Eine Zeit lang. Etwas später war daran nicht mehr zu denken. Sie konnte nicht mehr zu Hause bleiben und wurde in einem stationären Hospiz aufgenommen. Ich war zunächst die einzige, die sie besucht hat – bis allmählich wieder ein paar Freunde auftauchten. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich im Hospiz nicht mehr so allein fühlte. Für mich war ganz wichtig, dass sie fröhlich war. Schließlich hatte sie sogar noch Kontakt mit ihrer Mutter. Ich hatte sie so richtig lieb gewonnen. Das hatte ich ihr gesagt und das hat ihr auch richtig gut getan.

Was hat dich dazu veranlasst, neben Deiner ehrenamtlichen Tätigkeit nun auch Fördermitglied im Freundeskreis zu werden?
Ich denke, wenn man unterstützen will, dann ist es gut, wenn es kontinuierlich ist und nicht nur einmalig. Das Kontinuierliche wirkt nachhaltig für eine Stiftung oder einen Verein. Da ich das Glück habe, dass ich mir das auch leisten kann, mache ich das, solange ich lebe. Das Hospiz ist für mich auch ein Stück Heimat geworden.

Gibt es etwas, was du dir für die Zukunft des Ricam Hospizes wünschst?
Auf alle Fälle möchte ich, dass der gute Ton bleibt. Dass es ein Stück Zuhause ist, wo man gerne vorbei geht und sich freut, die anderen zu treffen. Ein Patient sagte mal zu mir: „Hier ist es wie im Paradies.“
Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Wolfgang von Schretter.