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Geschäftsführerin Dorothea Becker geht in den Ruhestand

Im Mai 2018 haben wir als Ricam Hospiz Stiftung Passanten vor dem Brandenburger Tor und andernorts gebeten, ihre Gedanken dazu auf eine Tafel zuschreiben. W a s soll sein, ehe ich sterbe? Daran denke ich oft in diesen Tagen. So vieles, was ich mir für mein Leben gewünscht habe, hat sich für mich schon erfüllt. Und ich habe eine wunderbare Familie, Kinder, Enkel, Freunde…

Ein für mich, als Krankenschwester im Neuköllner Krankenhaus, fast zu großer Wunsch hat sich wunderbarer Weise auch erfüllt. Seit 20 Jahren gibt es nun schon das stationäre Ricam Hospiz! Die Ideengeberinnen dafür waren Patientinnen auf »meiner« onkologi- schen Station – besonders jene, die wussten, dass sie nicht geheilt werden konnten. Wie wollten sie leben, ehe sie starben? Nie werde ich einen Sommerabend vergessen, an dem ich mit meiner Kollegin Carola Brett in einem Vierbettzimmer saß. Wir hatten ein wenig Zeit und die Patientinnen genug Vertrauen, uns in ihre Gespräche einzubezie-hen. Erst sangen wir ein paar Abendlieder, dann ging es ums Leben – ums Leben vor einem absehbar nahen Tod. Die vier Frauen sprachen davon, dass sie sich als letzten Lebensort am meisten das eigene Zuhause wünschten, oder einen Ort, an dem ihre Wünsche und Bedürfnisse mehr im Vordergrund stehen könnten als hier in der Klinik. So entwarfen wir mit unseren Gesprächen die Vision von einem Haus. Dass es ein Hospiz sein würde, wussten wir nicht, denn niemand in unserer Runde wusste vor 25 Jahren genau, was das ist – aber die Idee hatte uns schon gepackt. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland bereits 50 Hospize. Alle weit weg. Für Berlinerinnen und Berliner gab es kein Angebot. Und es gab in ganz Deutschland keine Regelfinanzierung. Als wir dann unser Hospiz entwickeln wollten, mussten viele Hürden genommen werden. Dabei gab mir die Lektüre von Cicely Saunders, der Gründerin des weltweit ersten Hospizes, den entscheidenden Impuls. Wenn es nichts Fertiges gab, dann sollten doch auch hier in Berlin die Menschen, die ein Hospiz brauchen konnten, das Konzept mitbestimmen, damit es ihnen maximal nutzen würde.

Das Ricam Hospiz mit dem ambulanten Bereich d.E.L.P.H.i.N. und dem stationären Hospiz konnte nur entstehen, weil viele Menschen es so sehr wollten, dass sie sich daran beteiligten. Sie beteiligten sich finanziell, schenkten uns Knowhow, Zuversicht und Vertrauen und sie bürgten für das Hospiz, damit wir einen Kredit bekamen – Christa Springer sogar mit ihrem eigenen Haus. Die Verantwortung für das Ricam Hospiz, das von vielen Menschen so leidenschaftlich getragen wird, trug ich als Geschäftsführerin zunächst ganz allein. Das hat mir zuweilen große Sorgen bereitet. Das Hospiz war gleichermaßen wie ein Kind für mich in seiner Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit. Ende 2011 war es dann soweit. Mein Kollege, Joachim Wirtz, hatte mich da-von überzeugt, dass eine Stiftung als Organisationsform perfekt ist, weil sie mich und auch ihre eigenen Gründerinnen und Gründer überdauern wird und mit der Ricam Hospiz Stiftung die Idee von unserem Hospiz er-halten bleibt. Dass die Stiftungsgründung möglich wurde, haben wir dem Vermächtnis von Frau Ingeborg Kerling zu verdanken und den Mitstiftern: dem Lions Club Berlin-Kurfürstendamm und der Gesellschaft der Freunde des Ricam Hospizes e.V. Heute übernehmen die Krankenkassen einen wesentlichen Teil der Finanzierung von Hospizen, aber es gibt keine Vollfinanzierung. Darum können Hospize immer noch nur existieren, wenn sich Menschen dafür engagieren. So bleibt es dabei, dass Hospize sich ständig neu auf die Nutzerinnen und Nutzer einstellen: denn wer sich beteiligt, ist in Beziehung, ist informiert und kann sich einmischen. Unsere Hospizpatienten und ihre Angehörigen lehren uns seit 20 Jahren über das Leben in größter Not: Was ist wichtig? Wir haben hingehört und nutzen nun unsere ganze Erfahrung, unseren großen Freundeskreis, aber auch die Chancen in unserem sich wandelndem Gesundheitswesen.
Das alles soll nun in unser neues Hospizzentrum in Berlin Rudow einfließen. Dort planen wir das erste Tageshospiz für Erwachsene in Berlin. Inzwischen ist schon der Bauantrag genehmigt, der Kreditantrag bewilligt und die Bauarbeiten beginnen. Wenn ich an mein persönliches nächstes Jahr denke, weiß ich, dass ich dann schon in Ruhestand sein werde. Viele, die mich kennen, glauben, dass das ja gar nicht sein kann, dass ich ohne das Hospiz ja sowieso nicht leben kann, und dass ich ja schließlich mein neues Hospiz-Kind noch ins Leben begleiten muss… Nach einer Weile habe ich gespürt, dass ich das ganz sicher auch werde. Und zwar genau mit dem Wohlwollen, mit dem ich jetzt meine Enkel in ihr Leben begleite. Ich werde für das Hospiz da sein, wenn es mich braucht, aber es wird nicht mehr mein Beruf und mein Arbeits-Alltag sein. Ich weiß, dass ich ganz beruhigt gehen kann. Denn in unserem Ricam Hospiz gibt es nämlich immer die richtigen Menschen, die hier beruflich ihren Platz gefunden haben. Da sind die vielen Pflegenden, die jeden Tag neu das Versprechen einlösen, dass wir für Sterbende und ihre Familien da sein wollen. Die Sozialarbeiterinnen, die Kolleginnen in der Verwaltung, die Ko-ordinatorinnen für das Ehrenamt und die Kollegen in der Hauswirtschaft tragen jeden Tag dazu bei, dass Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen.

Und dann gibt es die Kollegin und die Kollegen, die seit einigen Jahren mit mir im Stiftungsvorstand die Verantwortung teilen. Johannes Schlachter als Hospizleiter, Maik Turni als Verantwortlichen für unsere Unternehmenskommunikation und nicht zuletzt Toska Holtz als Verwaltungsleiterin. Mit ihr habe ich die letzten Jahre sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Sie ist humorvoll, berührbar und anpackend, hat eine hohe ethische Integrität – kurz: sie besitzt alle Eigenschaften einer waschechten »Hospizfrau«. Sie wird künftig die Geschicke des Ricam Hospizes lenken. Darüber freue ich mich sehr. Für die Zeit bis September werden wir diese Arbeit in immer weiter übergehender Verantwortung teilen und dann darf ich mich bei einem Fest im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt von meinem Berufsleben verabschieden.
Before I die… möchte ich dann noch lange gesund leben und die Schar meiner Kinder und Enkel glücklich wachsen sehen!