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Was bedeutet uns würdiges Leben und Sterben?

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LZ-Redaktion: Frau Stepp, Sie haben ja beruflich Menschen »in Schale geworfen«. Was hat Kleidung mit Würde zu tun?

Eleonore Stepp: Sehr viel. Es ist Ausdruck einer Persönlichkeit.

Sven Hiddessen: Wenn wir zu Ihnen ins Zimmer kommen, sind wir alle würdevoll gekleidet?

Stepp: Nein! Ich habe ja auch Männerhemden genäht und Westen. Männer könnten viel mehr aus sich machen.

Hiddessen (lacht): Es fällt ja auf, dass Sie sehr selbständig agieren und erst aus Ihrem Zimmer kommen, wenn Sie gewissermaßen in Erscheinung getreten sind.

Stepp: Man darf sich nicht gehen lassen. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind, sich ein bisschen zurecht machen, das ist ganz wichtig. Das betrifft auch Männer.

Hiddessen: Wenn Sie jetzt Menschen sehen, die anders sind als Sie, zum Beispiel Mitpatienten…

Stepp: Das finde ich grauenvoll. Ich gehe hier nicht zum Frühstück, esse lieber allein. Mittags bin ich schon so ein bisschen lockerer. Die sind ja alle sowas von unmöglich angezogen. Eine einzige hat ein bisschen Stil, eine ältere Dame. Die finde ich angenehm. Alle anderen kann man vergessen.

Hiddessen: Können Sie sich vorstellen, warum die Menschen keinen Wert darauf legen?

Stepp: Gleichgültigkeit.

Hiddessen: Vielleicht hat mancher auch gar keine passende Kleidung mehr. Stepp: Das kenne ich, und die Auswahl fällt mir auch schwer. Ich habe soviele Kleider im Schrank. Meiner Tochter habe ich gesagt: ‹Verschenke sie oder behalte sie selber.› Ich kann ja schlecht mit taillierten Kleidern hier im Hospiz herum laufen. Da falle ich ja völlig aus dem Rahmen. Das wäre nicht angemessen.

Hiddessen: Das Hospiz gibt also den Rahmen dafür vor.

Stepp: Ja, das stimmt.

LZ-Redaktion: Warum sind sie im Hospiz?

Stepp: Weil ich keine andere Möglichkeit mehr hatte, zu Hause zu leben. Ich brauche jeden Tag Hilfe. Ich kann mich nicht mehr selber versorgen. Zu Hause habe ich es versucht, bin gestürzt, kam ins Krankenhaus. Hinzu kam, dass ich mich auch sehr allein gefühlt habe in meiner kleinen Wohnung.

Hiddessen: Haben Sie denn das Gefühl hier nicht mehr so allein zu sein?

Stepp: Ich habe das Gefühl, ich habe Hilfe überall hier. Alle sind sehr aufmerksam, sehr hilfsbereit. Und das ist ein sehr gutes Gefühl. Ich genieße es, wenn mir das Frühstück gebracht wird. Ich brauche nicht Einkaufen gehen. Ich brauche nicht Abwaschen. Die Küche ist hier sehr gut.

LZ-Redaktion Ist es schwer gewesen, Hilfe anzunehmen?

Stepp: Ja, immer noch. Es ist schwer, zu klingeln und zu sagen: ‹Ich kriege die Beine nicht hoch aufs Bett›. Aber es ist besser geworden.

LZ-Redaktion Wodurch?

Stepp: Weil es mir gut tut… Es war immer umgekehrt. Zu mir kamen die Frauen in den Laden und vertrauten mir ihre Sorgen an. Ich war ja mehr Psychologin als Modedesignerin. Ich habe ihnen einen Kaffee gekocht, sie umsorgt, vieles, was ich nun selber annehmen lerne.

Hiddessen: Haben Sie einen Tipp, wie man jemanden, der sehr selbstständig ist, sagen kann: ‹Ich bin da für Sie. Ich möchte Ihnen helfen?›

Stepp: Reden. Reden. Reden. Das ist mein Geheimrezept.

Hiddessen: Das gehört sicher zur Würde dazu. Dass man jemanden Respekt entgegenbringt, indem man ihn anspricht, ihm zuhört.

Stepp: Ich habe ja mit Ihnen hier direkt den meisten Kontakt. Diese Mäuschen [Krankenpflegeschülerinnen, Anm. d. Red.] hier, diese jungen Dinger, da komme ich nicht ran.

Hiddessen: Das gehört auch dazu. Jeder Menschen ist anders. Sich immer wieder auf den einzelnen einzustellen, das ist mitunter auch nicht einfach für uns Helfende. Man kommt nicht mit jedem zurecht. Bei jedem Menschen, den man hier betreut, muss man sich auch immer wieder trauen, sich selber überwinden, in die Begegnung zu gehen, und sich selber präsentieren. Und die Menschen, die hier leben, die Patienten, auch für sie gibt es Dinge, die Überwindung kosten, sich beispielsweise mit schweren Themen auseinanderzusetzen.

Stepp: Ja. Ich habe auch Angst. Ich muss mit dem Tod rechnen. Im Moment habe ich keine direkten Schmerzen. Wenn ich ein gebrochenes Bein hätte oder irgendeine Verletzung. Dann wüsste ich weshalb. Aber diese Metastasen… das ist unheimlich. Was passiert mit mir? Das macht mir Angst.

Hiddessen: Damit umzugehen, ist nicht einfach. Zu erkennen, wo jemand steht. Das gehört mit zu einem würdigen Umgang – immer offen zu sein. Das ist ein großer Teil von meinem Würdeverständnis, offen zu sein für den Menschen, der vor mir ist, und vielleicht zu spüren, was er brauchen könnte.

LZ-Redaktion: Würden Sie sagen, dass Sie hier an einem würdevollen Ort sind?

Stepp: Ja. Unbedingt. Alles ist liebevoll eingerichtet, alle sind hilfsbereit, es wird gut gekocht. Zusammen sind das alles kleine, aber wichtige Dinge.

Hiddessen: Was würden Sie sich wünschen, wenn es ihnen schlechter geht, sie noch mehr Hilfe brauchen, vielleicht im Bett liegen müssen? Wie würden Sie sich damit fühlen?

Stepp: Na toll, wenn Sie kämen! (Längeres Lachen) Aber im Ernst, mittlerweile könnte ich diese Hilfe annehmen. In gesunden Tagen wäre das für mich undenkbar gewesen.