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Die Musiktherapeutin Astrid Steinmetz

Astrid, wie bist Du auf die Idee gekommen im Hospiz zu arbeiten?
Ich habe während meines Studiums einen Vortrag von einem bekannten Musiktherapeuten gehört der in einem Hospiz gearbeitet hat. Das hat mich damals schon fasziniert. Später habe ich dann während einer Reise durch Australien verschiedene Hospize besucht und den dortigen Musiktherapeuten ein wenig bei der Arbeit zusehen dürfen.

Mich interessieren Grenzphänomene und die Arbeit mit Menschen, die sich in Grenzsituationen befinden. Ich habe in der Vergangenheit auch mit drogenabhängigen Menschen und mit schwer psychisch kranken Jugendlichen und Erwachsenen gearbeitet. Menschen in solchen Situationen zeigen sich in ihrer authentischen Art und die Begegnungen miteinander sind unmittelbar und intensiv.

Was passiert während Deiner therapeutischen Arbeit mit Patient_innen?
Musiktherapie ist kein Beschäftigungsangebot, sondern ein psychotherapeutisches Verfahren über sprachliche Möglichkeiten hinaus. Die Begegnung findet über Klänge statt. Improvisierend stelle ich eine situativ einmalige und individuelle Verbindung her, versuche den Mensch emotional anzusprechen

Musiktherapie ermöglicht einen Zugang zu sehr unterschiedlichen Ebenen. Klänge können berühren oder Spannung abbauen. Oft erleben besonders meine körperlich sehr eingeschränkten Patient_innen wieder Autonomie, zum Beispiel indem sie mit kleinen Fingerbewegungen den Raum mit Klängen füllen können. Die Begrenztheit des Körpers kann aufgehoben werden. Themen können auf unbewusste Art bearbeitet werden, Lebensmoment werden aktiviert, erlebt und/oder betrauert, Emotionen ausgedrückt. Es öffnen sich Räume, Begegnung wird möglich und dadurch kann Isolation und Rückzug überwunden werden. Die Welt der Assoziationen, Phantasien und Träume kann wiederentdeckt werden. Verwirrte Patienten finden Orientierung an Vertrautem.

Was benutzt Du in der Therapie?
Ich benutze Instrumente, aber auch die Stimme. Oft begleite ich den Patienten / die Patientin spielerisch mit Tönen. Manchmal ist es nur ein Brummen, zu dem ich singe oder eine kleine Bewegung, zu der ich mit den Fingern über die Saiten streiche.

Du begleitest ja nicht alle Patient_innen im Hospiz. Wie entscheidest Du, zu wem Du gehst?
Das Pflegepersonal oder die Ärzt_innen wissen über mögliche Indikationen Bescheid. Häufig werde ich angefragt, wenn Patient_innen depressiv sind, in den sozialen Rückzug gehen, aggressives Verhalten zeigen, verwirrt sind oder an Panikattacken leiden. Auch bei schwer behandelbaren Schmerzzuständen oder Atemnot kann Musiktherapie – neben der medikamentösen Behandlung – für Linderung sorgen.

Wie gehst Du in den Kontakt mit Deinen Patient_innen?
Grundsätzlich versuche ich zuerst eine Beziehungsebene aufzubauen, also nicht primär als Therapeutin aufzutreten. Viele Menschen haben Vorbehalte gegen Psychotherapie oder gar Musiktherapie, die ihnen im Wege stehen könnten. Eine Patientin entschuldigte sich bei mir zum Beispiel am Ende der ersten Sitzung für ihr anfangs ablehnendes Verhalten mit den Worten „Ich dachte, ich müsste hier trommeln“.

Wie viele Menschen begleitest Du?
Ich begleite ca. sechs bis acht Menschen gleichzeitig Im Jahr sind das so um die 80 Personen.

Wie lange dauert eine Therapieeinheit?
Das kommt ganz auf die Person und Situation an. Im Durchschnitt dauert eine Sitzung 35 Minuten, es können aber auch 20 Minuten oder 1,5 Stunden sein.

Arbeitest Du auch mit Angehörigen?
Manchmal sind die Angehörigen dabei. Zum Beispiel, wenn es Kontaktstörungen zwischen den schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen gibt. Ich verstehe mich dann als eine Art Brückenbauerin. Angehörige verstummen oft in der Begleitung. Sie sind verunsichert, weil sie kein sprechendes Gegenüber mehr haben und deuten den fehlenden Ausdruck oft auch als fehlenden Eindruck. Gemeinsame Klänge können eine neue Verbindung schaffen, wieder Gemeinsames erleben lassen. Manchmal rede ich auch im Zimmer mit den Angehörigen über gemeinsame Erlebnisse mit dem schwerkranken Menschen. Die Patientin wird dann zur Zuhörerin und kann diese Dinge dadurch noch einmal fühlen. Viele Angehörige weinen, wenn sie erleben, wie ich für den kranken Menschen Musik spiele und ihn dadurch versuche zu erreichen.

In unserem Gespräch spüre ich Deine Freude an Deiner Arbeit sehr deutlich. Was sind die schönen Momente oder Erinnerungen, die Du hast?
Mich fasziniert, dass ich Zeugin dabei sein kann, dass raumöffnende Entwicklungsspielräume auch am Ende des Lebens und Unterstützung bis zuletzt möglich sind. Martin Buber schrieb einmal „Der Mensch wird am Du zum Ich“ und das erlebe ich sehr oft in meiner Arbeit. Da entsteht innerhalb dieser Begegnung ein Zwischenraum, innerhalb dessen der Patient eigene Impulse entwickelt. So begann eine sehr angespannt und unruhige Patientin, als ich zu ihren schaukelnden Bewegungen ein Saiteninstrument strich, dies mitzumachen, sang dann von sich aus ein Lied, weinte, wurde schließlich ruhig und sagte, sie wolle nun nicht mehr ihre Trauer überdecken, sondern weinen, denn die Tränen würden wieder vergehen.

Mich berührt auch das Vertrauen, welches mir entgegen gebracht wird. Ich erinnere mich an eine Patientin, die während der Therapie mit einem Lächeln im Gesicht gestorben ist. Oder an einen anderen Patienten, der – ansonsten vollkommen verstummt – gemeinsam mit mir kleine, einfache Melodien gesummt hat, einmal und nie wieder. Das waren sehr intensive und nahe Momente.

Mit Freude erinnere ich mich an den Kontakt mit einer „alten Kreuzbergerin“ die in ihrer Besonderheit ganz viel Würde hatte. Sie trug einen Sonnenhut und grüne Fingernägel. Durch ihren Gehirntumor war sie in ihren sprachlichen Möglichkeiten sehr eingeschränkt. Wir entdeckten aber zusammen die Freude an Reimen, das war ihre einzige Möglichkeit zu sprechen. Zuerst sagten wir bekannte, einfache Reime auf und später haben wir welche dazu erfunden. Teil an dieser Lebendigkeit und Kreativität zu haben, berührt mich immer wieder sehr.

Was möchtest Du uns noch gern mitteilen, was ist Dir noch wichtig?
Im Ricam Hospiz ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit gewachsen. Hier besteht eine große gegenseitige Wertschätzung und ein respektvoller Umgang. Das ist für Patient_innen und Mitarbeiter_innen sehr wichtig. Leider ist das nicht überall so selbstverständlich, wenn Abgrenzung und Konkurrenz vorherrschen. Im Ricam Hospiz gibt es die Vorstellung, ein gemeinsames therapeutisches Team zu sein, und das ist sehr wohltuend.

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Die Musiktherapie im Ricam Hospiz wird ausschließlich über Spenden finanziert. Mehr Informationen erhalten Sie <a href=“https://www.ricam-hospiz.de/hospiz/musiktherapie/“> hier.</a>

Astrid Steinmetz arbeitet selbstständig seit 1999 im Ricam Hospiz. Neben ihrer Arbeit im Hospiz hat sie das Interaktionskonzept und Trainingsprogramm Kommunikation ohne Worte – KoW® für die nonverbale Interaktion mit palliativen und demenzkranken Patienten entwickelt und führt dies regelmäßig durch. Darüber hinaus arbeitet Astrid Steinmetz wissenschaftlich und publiziert.