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Seine letzte Reise

Seine Schwester und sein Bruder lebten bereits in Deutschland, sein Vater, ein Großteil seiner anderen Geschwister, und vor allem seine Ehefrau, mit der er erst seit ganz kurzer Zeit verheiratet war, blieben weiterhin im Libanon. Aus Angst vor dem Tod versuchte er diesem zu entfliehen, in einer lebensgefährlichen Reise über das Meer. In Deutschland angekommen, wurde Fatih im Krankenhaus behandelt, die Kosten hierfür wurden übernommen, doch auch die Ärzte in Deutschland konnten der Krankheit keinen Einhalt gebieten, und so schickten sie den jungen Mann schließlich nach Hause – doch ein Zuhause hatte er hier nicht. Er und seine Mutter kamen bei der Schwester unter, die mit ihrem Ehemann und zwei kleinen Töchtern in Berlin lebt.

Die Familie lebte auf engstem Raum zusammen, der todkranke Fatih schlief mit seiner Mutter im Wohnzimmer, in dem natürlich auch seine kleinen Nichten tagsüber spielten. Es gibt kaum Geld in der Familie, seine Kleider waren alle viel zu groß, da er im Verlauf der Krankheit so viel Gewicht verlor, aber kein Geld hatte um sich neue Kleider zu kaufen. Fatihs Bauch und seine Wirbelsäule waren von Tumoren befallen, er litt unter starken Schmerzen. Von Berlin hat Fatih während des Jahres, das er hier verbrachte, eigentlich nicht mehr gesehen als Krankenhäuser, die Wohnung seiner Schwester und gelegentlich machte er wohl einen kleinen Ausflug zum Supermarkt, der auf der anderen Straßenseite liegt. Doch sich länger als 30 Minuten zu bewegen, war ihm unmöglich, die Nachwirkungen der Chemotherapien und die fortschreitende Krankheit schwächten seinen Körper.

Das Thema Rückkehr in den Libanon wurde allein durch die unbezahlbaren Preise im Libanon für die Schmerzmittel, die Fatih benötigte, erschwert. Und wie sollten sie zurückkehren, wie Flugtickets kaufen, ohne Papiere und Geld? Außerdem hat die Familie wahrscheinlich sehr lange gehofft, dass doch noch alles gut werden würde. Doch als Fatihs Schmerzen immer stärker wurden, musste er ins Krankenhaus zurückgebracht werden. Er hatte tagelang nicht schlafen können, und auch im Krankenhaus war es ihm in der ersten Nacht nicht möglich Ruhe zu finden, da er unter solch starken Schmerzen litt. Er wurde wütend, da er das Gefühl hatte, dass keiner ihn verstehe und er hilflos ausgeliefert sei, bis irgendwann ein Arzt zu ihm kam der auch Englisch sprach und die Schmerzmittel höher dosierte. Nun konnte Fatih schlafen und sich erholen. Sein Wunsch war es, neue Kräfte zu sammeln, um dann wieder nach Hause gehen zu können. Doch sehr schnell stellte sich heraus, dass er einen Darmverschluss hatte. Aufgrund des großen Tumors in seinem Bauch war es jedoch unmöglich, eine Operation durchzuführen, und es wurde klar, dass Fatih nun nur noch wenige Tage bleiben würden. Ein arabischsprachiger Arzt erklärte Fatih und seiner Familie die Situation und machte unmissverständlich klar, dass die Familie sich nun auf den nahenden Tod einstellen müsse, da sie bis zuletzt, zumindest nach außen hin, daran glaubten, dass der lebensfrohe und starke junge Mann seine Krankheit überleben würde. Irgendwie war es nun doch möglich Fatihs Rückreise in den Libanon zu organisieren. Das Krankenhaus stattete ihn noch mit Schmerzmitteln aus, und so konnte er mit seiner Mutter in den Libanon fliegen, um zu Hause zu sterben, in seinem vertrauten Umfeld.

Vom ambulanten Ricam Hospiz wurde Fatih nur kurz begleitet, die Koordinatorin, Cornelia Menke, besuchte ihn einmal, als er schon bei seiner Schwester wohnte, und konnte mit Hilfe der Nachbarin, die für sie übersetzte, erste Eindrücke über die Situation gewinnen. Es war ihr möglich, über die Krebshilfe Geld zu beantragen, damit Fatih sich passende Kleidung kaufen konnte. Beim zweiten Besuch begleitete ich die Koordinatorin, um für Fatih alles ins Englische zu übersetzen, da auch der Rest der Familie kein Deutsch spricht. Es war ein sehr netter Besuch, Fatih genoss merklich die Ablenkung und Unterhaltung durch uns. Wir bekamen frischen arabischen Kaffee serviert und durften die Bilder von seiner Hochzeit, seiner Frau, und von ihm, vor seiner Krankheit, sehen. Fatih sagte, dass er dankbar sei für alles, womit wir ihm helfen wollen, aber dass er sich eigentlich nur wünsche, seine Frau wiederzusehen. Wir sagten ihm scherzend, dass wir ja leider nicht die Ausländerbehörde seien und seiner Frau kein Visum organisieren könnten, aber dass wir ihn gerne im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen und ob er nicht in der nächsten Woche einen Ausflug mit uns machen wolle. Darüber freute er sich sehr. Wir besprachen, dass wir den Rollstuhl mitbringen würden und verabschiedeten uns in der Annahme, eine Woche später tatsächlich einen Spaziergang durch den Britzer Garten oder den Bergmannkiez zu unternehmen. Als wir eine Woche später wieder an der Türe klingelten, teilte uns die Schwester mit Hilfe ihrer dolmetschenden Nachbarin mit, dass Fatih wieder im Krankenhaus sei. Dies war der Aufenthalt, bei dem ein Darmverschluss festgestellt wurde. Conny und ich besuchten ihn, nachdem wir bei der Familie waren, kurz im Krankenhaus. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nichts von dem Darmverschluss. Er war sehr schwach und wahrscheinlich auch durch die hohe Dosierung der Schmerzmittel sehr müde und langsam. Er freute sich aber uns zu sehen und fragte, ob wir in der nächsten Woche, wenn es ihm besser gehe, dann unseren Ausflug machen würden. Am Tag danach wurde der Darmverschluss festgestellt.

Zu diesem Zeitpunkt beschlossen wir, uns aus der Situation zurückzuziehen, da er im Krankenhaus gut betreut wurde und wir auch der Familie den Zeit und Raum geben wollten, sich ohne Ablenkung mit der Situation zu befassen und die nun kostbare Zeit miteinander für sich zu nutzen. Wenige Tage später erfuhren wir vom Krankenhaus, zu unserer großen Überraschung und Freude, dass Fatih nun, ausgestattet mit Schmerzmitteln, im Flugzeug säße, auf dem Weg zurück in den Libanon. Es war sein Wunsch, zu Hause zu sterben, und bestimmt wollte er auch von seiner Familie Abschied nehmen.
Ich wünsche ihm, dass er sicher angekommen ist.