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»Hebamme« fürs Lebensende?

Hebammen helfen nicht nur dabei, den Nachwuchs auf die Welt zu bringen. Viele junge Eltern schätzen ihre Dienste auch Wochen nach einer Geburt. Mutter und Vater erhalten Sicherheit und vertrauen darauf, dass ihre Hebamme frühzeitig erkennt, wenn etwas mit ihrem Baby nicht stimmt. Außerdem kann die Hebamme einschätzen, ob die Eltern mit den neuen Aufgaben zurechtkommen und kann zusätzliche Hilfe vermitteln. So jedenfalls war es bislang.

Seit Ende des letzten Jahres wenden sich Hebammenverbände an die Öffentlichkeit. Es sei unsicher, ob ab 2015 Hebammen überhaupt noch freiberuflich tätig sein können. Der Grund: die Versicherungen wollen das teure Haftpflichtrisiko der Hebammen nicht mehr absichern. Die Politik zeigte sich daraufhin einig wie sonst selten. Die Leistungen der freiberuflichen Hebammen werden als unentbehrlich betrachtet. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe machte dieses Problem zur Chefsache.

Ganz anders scheint die Angelegenheit, wenn es nicht um den Beginn des Lebens, sondern um dessen Ende geht. Es gibt zwar einen riesigen Hilfeapparat: Spezialisten, wie Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen, Apotheker, Sanitätshäuser, Sozialarbeiter…. Die Frage ist aber, wie diese Hilfe und Menschen in Notlagen zueinander kommen.

Schwerstkranke Menschen müssen mit zahlreichen verschiedenen professionellen Ansprechpartnern Dinge regeln, damit sie das erhalten, was sie brauchen und was erforderlich ist, wie zum Beispiel ein spezielles Pflegebett oder eine eiweißreiche Sondennahrung. Die Liste lässt sich schnell erweitern: Viele chronisch kranke Menschen benötigen eine Befreiung von der Zuzahlung zu Medikamenten, einen sogenannten Toilettenstuhl, der neben dem Bett aufgestellt werden kann, einen Pflegedienst, der sich mit ihrer Erkrankung auskennt, eine Apotheke, die besondere Medikamente auch außerhalb der Öffnungszeiten anliefern kann, einen Arzt, der rund um die Uhr erreichbar ist und auch am Wochenende Hausbesuche macht, einen Krankentransportdienst, der einen in die Klinik fährt, wenn eine Untersuchung ansteht, eine Sachbearbeiterin bei der Krankenkasse, die einem erklärt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Kosten übernommen werden können, einen Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der prüft, ob tatsächlich Kosten für Pflege bewilligt werden, eine Nachbarin, die ein paar Besorgungen machen kann, weil es einem selbst nicht mehr möglich ist, eine ehrenamtliche Hospizmitarbeiterin, die oft erkennt, dass der kranke Mensch gar keine Kraft mehr hat all die genannten professionellen Ansprechpartner zu kontaktieren.

So kommen schnell 30 Ansprechpartner, Dienstleister und professionelle Helfer zusammen mit denen Gespräche geführt, Termine verabredet und eingehalten werden müssen und die sich oft die Wohnungstürklinke des Patienten in die Hand geben. Glücklich, wer einen Partner oder Kinder hat, die das regeln können und letztlich müssen. Ob diese in ihrem Tun immer den kürzesten Weg einschlagen und das beste für den Patienten bewirken können, steht auf einem anderen Blatt. Schlimm steht es um jene, die ganz allein auf sich gestellt sind. Als würde die schwere, unheilbare und dramatisch fortschreitende Erkrankung nicht schon genug belasten, müssen Patienten erheblichen Aufwand betreiben, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen wollen.

Grundsätzlich sollen Menschen selbstbestimmt ihre eigenen Angelegenheiten regeln. Was aber, wenn selbstbestimmtes Handeln nicht mehr möglich ist? Der Fall aus der Praxis des ambulanten Ricam Hospizes ( siehe Fallbeispiel) zeigt, welch dramatische Folgen es haben kann, wenn von Menschen mit schweren Erkrankungen erwartet wird, Manager ihrer eigenen Therapie zu sein.

Die Patientin hätte noch einige Zeit weiter leben können wie zuvor, wenn es für sie so etwas gegeben hätte wie eine Hebamme am Lebensende. Jemand, der nach Hause kommt, Informationen der vielen Dienstleister koordiniert und sicher durch das Versorgungssystem des Gesundheitswesen führt und schnell reagiert, wenn Dinge aus dem Ruder laufen.

In einer arbeitsteiligen Welt gibt es Spezialisten, die einzelne Symptome und Krankheiten behandeln können. Es braucht aber auch den Generalisten, der das Ganze sieht und nicht nur die Krankheit, sondern den einzelnen Menschen im Blick hat. Nennen wir diesen Helfer die »Hebamme fürs Lebensende«. In der Fachwelt würde man das anders nennen: Palliatives Casemanagment zum Beispiel. Die Fallmanager sollen die Bandbreite der erforderlichen und vom Patienten gewollten Dienstleistungen koordinieren. Der aus der ökonomischen Verwaltungssprache stammende Begriff scheint möglicherweise für Kostenträger akzeptabel. Näher am Menschen und Geschehen ist der Begriff der Hebamme. Er steht für einen größeren Zusammenhang, für eine Kreisbewegung, die mit der Geburt begonnen hat und mit dem Tod enden wird.

Von der Wissenschaft der guten Pflege und Medizin wird der palliative Casemanager oder „die Hebamme am Lebensende“ seit mehr als zwanzig Jahren gefordert. Aber der Aufbau neuer gesetzlich garantierter Versorgungsformen kommt nur langsam in Gang. So besteht seit 2007 ein Anspruch für Menschen mit einer unheilbar und fortschreitenden lebensbedrohlichen Erkrankung auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung, kurz (SAPV). Während in anderen Bundesländern Teams aus besonders qualifizierten Ärzten und Pflegekräften sowie einer Koordinationskraft Hand in Hand arbeiten, geht Berlin aus historischen Gründen einen Sonderweg. Auf solchen Wegen erreicht man aber mitunter eher später das Ziel als andere. So beansprucht mitunter jede Gruppe der bessere Casemanager zu sein. Der Arzt, weil er die Therapie vorschlägt und verantwortet, die Pflege, weil sie viel häufiger beim Patienten ist und die häusliche, familiäre Situation sowie das Symtomgeschehen besser kennt, die Sozialarbeit im Krankenhaus, weil sie das Casemanagement als Instrument ihrer Disziplin betrachtet und gelernt hat. Alle sitzen mittlerweile in regelmäßigen Netzwerktreffen in Berlin zusammen und suchen nach dem besten Berliner Sonderweg. Ob am Ende auf diesem Weg die »Hebamme fürs Lebensende« stehen wird?

Hoffnung gibt, dass alle ein gemeinsames Ziel teilen: die bestmögliche Versorgung von schwerkranken Menschen am Lebensende. Damit dieses Ziel Wirklichkeit wird, braucht es eine starke Lobby. Und da sind die »Hebammen am Lebensanfang« ein gutes Stück weiter. Sie haben zu Recht Zuspruch aus allen Teilen der Gesellschaft. Der Grund scheint klar: Elternschaft ist verbreiteter als Sterbebegleitung. Demzufolge haben auch wesentlich mehr Menschen direkte Erfahrungen mit Hebammen am Lebensanfang, meist bedingt durch den eigenen Nachwuchs. Menschen bis zuletzt beizustehen, Sterbende zu begleiten – diese Erfahrung mussten bislang weit weniger machen. In einer alternden Gesellschaft wird sich dies sicher ändern. Und gut möglich, dass mit wachsender Erfahrung auch die Dienste einer »Hebamme fürs Lebensende« von den Kassenvertretern und der Politik als unentbehrlich betrachtet werden.

Zuvor aber können auch Sie etwas tun. Setzen Sie ein Zeichen. Zeigen Sie, dass Ihnen die Notlage Sterbender Menschen nicht gleichgültig ist. Sie können beispielsweise die »Charta zur Betreuung Sterbender« (www.charta-zur-betreuung-sterbender.de) unterzeichnen. Oder Sie unterstützen ein Hospiz in Ihrer Wohnnähe, treten dem Förderverein eines Hospizes bei, arbeiten ehrenamtlich mit, möglicherweise absolvieren Sie eine Ausbildung in der hospizlichen Sterbebegleitung. Was Sie davon auch tun, Sie können damit in ihrem Umfeld dazu beitragen, die Situation von schwerstkranken Menschen und deren Familien zu verbessern.