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Zwischenruf zur Sterbehilfe-Debatte in den Medien

Sterbehilfe – das Thema ist in der letzten Zeit fast täglich auf der Agenda. Beispiele dafür sind Filme wie »Liebe « oder »Und morgen Mittag bin ich tot«, die aber nur einseitig die aktive Sterbehilfe zeigen. Es fehlen Bilder in der Öffentlichkeit für das, was Palliativmedizin und Hospize in den letzten Jahren an Gegenbildern zu dem einsamen Sterben an Schläuchen geschaffen haben.

Es macht auf mich den Eindruck, als sollten wir so ganz allmählich daran gewöhnt werden, dass Sterben kein Teil des Lebens mehr ist, sondern ein Zeitpunkt, über den entschieden, der geplant wird – über den wir verfügen.

Seit 2010 arbeite ich im Ricam Hospiz als ehrenamtliche Mitarbeiterin und begleite Menschen zu Hause in ihrem Sterben. Gelegentlich bin ich auch zu Sitzwachen im stationären Hospiz. Das bedeutet: ich begleite das Sterben. Ich erlebe Menschen in ihrer Not – und das sind sowohl die Sterbenden als auch die Angehörigen. Aber ich erlebe vor allem die Bedeutung dieses letzten Lebensabschnittes. Das lässt mich aufmerksam und kritisch sein gegenüber den verschiedenen Bestrebungen, diesen Zeitraum willkürlich zu beschneiden.

Als Nikolaus Schneider, der höchste Repräsentant der evangelischen Kirche in Deutschland, erklärte, er werde im November von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD zurücktreten, sorgte das für viel Aufregung. Der Grund war die Krebserkrankung seiner Frau . Daraufhin gaben seine Frau und er der ZEIT ein Interview, in dem er ankündigte, seine Frau in die Schweiz zu begleiten, sollte sie zu dem Schluss kommen, sie wolle durch eigene Hand aus dem Leben scheiden. Diesen Schritt werde er entgegen seiner ethischen Überzeugung aber aus Liebe zu seiner Frau tun. Den Wunsch seiner Frau …dass er neben mir sitzen und meine Hand halten würde, wenn ich das Gift trinke“ will er erfüllen. Und das ist nachvollziehbar und nur zu verständlich. »Liebe statt Amt« titelte die ZEIT.

Wie aber die Medien weiterhin diese Äußerung interpretierten, ist für mich sachlich falsch und tendenziell aufgeladen. So ist zum Beispiel der Artikel vom 16. Juli in der ZEIT überschrieben mit »Nikolaus Schneider sichert seiner Frau Sterbehilfe zu.« Genau das tut Schneider nicht. Auch der Artikel von Wolfgang Prosinger im Tagesspiegel vom 20. Juli, in dem er auf das Verhalten von Schneider reagiert, geht in eine polemische Richtung.

Er nennt es »Ideologie trifft auf Wirklichkeit «, wenn Schneider trotz seiner anderen ethischen Haltung seine Frau begleiten will. Das drückt seine fast zynische Position aus. An anderer Stelle nennt er es sogar »Dogma«.

Das Ganze gipfelt darin, dass er die »anmaßende Hartherzigkeit« der bisherigen Debatte anprangert. Er behauptet weiter, durch diesen privaten Fall des Ehepaars Schneider seien neue Kategorien in die Debatte gelangt: Mitleid, Barmherzigkeit, Menschenfreundlichkeit. Dabei sind diese immer schon Bestandteil der vielfältigen ethischen, juristischen und palliativ-medizinischen Diskussion um ein menschenwürdiges Sterben.

»Todesängste, Schmerzen und Verzweiflungen sind keine minderwertigen Beweggründe, die vor grundsätzlichen Erwägungen des Lebensschutzes zurückzutreten haben«, so Prosinger. Sie zu missachten wäre inhuman und intellektuell unredlich. Denn »eine Ethik ohne Menschlichkeit verdient den Namen nicht.« Aber eine ethische Position unmenschlich zu nennen, die sich gegen aktive Sterbehilfe wendet, ist infam.

Der demografische Wandel und daraus resultierend die zunehmende Zahl von dementen oder alzheimererkrankten Menschen, aber auch die Fortschritte in der Medizin, Menschen im Koma über Jahre am Leben zu erhalten – all das macht Angst und fordert das Individuum heraus, nicht mehr um sein Leben, sondern eher um sein Sterben zu kämpfen.

Das hat dazu geführt, dass mehr und mehr Menschen mit Skepsis der Medizin und ihren Angeboten gegenüber stehen und eher entschlossen sind, bei schwerer Krankheit ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen.
Aber was wissen wir schon? Über die Zeit, die bleibt, weil das Leben und die Gemeinschaft mit unseren Lieben uns angesichts des bevorstehenden Endes so kostbar ist? Über die Zeit, die kommt?

Früher hat die Menschen erheblich mehr beschäftigt, was danach kommt: das Leben nach dem Tod. Das Jenseits. Der Tod – und nicht das Sterben – war viele Jahrhunderte das beherrschende Thema in der Theologie und der Philosophie. Das ist heute anders.

Sterben ist ein Abschiednehmen. Das braucht Zeit. Manche Menschen erleben sie als kostbare Zeit.
Und wir, die wir in Hospizen arbeiten, wissen darum und beachten und begleiten sie mit Respekt.