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Ärztliche Versorgung in Neukölln

Bezirksstadtrat Falko Liecke

Wie beurteilen Sie den Zusammenhang von Armut und Krankheit in Neukölln?

Ich sehe den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit in Neukölln genauso wie anderenorts. Neukölln bildet da keine Ausnahme. Menschen, die in Armut leben, sind in der Regel kränker, leben kürzer, werden häufiger Opfer von innerfamiliärer Gewalt oder nehmen seltener und später medizinische Hilfe im Krankheitsfall in Anspruch. Der Armutsbegriff sollte allerdings weit gefasst werden. Sich nur auf Einkommensverhältnisse zu beschränken, wäre sachlich falsch. Vielmehr muss die soziale Lage im Ganzen betrachtet werden. Im Bezirk gibt es zarte Pflänzchen, an denen leichte Verbesserungen abzulesen sind, z.B. bei der Visuomotorik und Übergewicht von Kindern, allerdings im berlinweiten Vergleich auf niedrigem Niveau. Die enge Verbindung von Armut bei Kindern und deren Entwicklungsverlauf, Gesundheit, Bildungsstand und späterer beruflicher Qualifikation ist in Neukölln u.a. aus den Auswertungen der Schuleingangsuntersuchungen seit vielen Jahren bekannt. Deshalb ist die Bekämpfung der Kinderarmut ein wichtiges Ziel der im Aufbau befindlichen Präventionskette, die federführend von mir seit 2011 vorangetrieben wird.

Aufnahme einer Patientin im Ricam Hospiz

Aufnahme einer Patientin im Ricam Hospiz

Was tut der Bezirk, um gesundes Leben in Neukölln zu fördern?

Die Gesundheitsförderung ist eine wesentliche Aufgabe des Bezirks. Die Aktivitäten in Neukölln sind vielfältig und reichen von der Umsetzung strategisch ausgerichteter Handlungsprogramme wie der Einführung der bereits angesprochenen Präventionskette über die Durchführung von bezirklichen und überbezirklichen Aktionsprogrammen, von einzelnen themenbezogenen Veranstaltungen (z.B. Nichtraucheraktion, Suchtberatung und Hilfe für seelisch erkrankte Menschen) für interessierte Bürgerinnen und Bürger bis hin zu Fach- und Fortbildungsveranstaltungen für Fachkräfte.

Hat Neukölln flächendeckend ausreichend Fachärzte?

Leider nein. Zwar gilt Berlin hinsichtlich der Versorgung mit Ärzten, Haus- und Fachärzten insgesamt als gut ausgestattet. Aber: Berlin wird hierbei als ein Zulassungsgebiet für Ärzte bewertet. Dies führt bei der Verteilung von Ärzten zu Ungleichgewichten zwischen den Bezirken. Beispielsweise fehlen in Neukölln besonders Kinder-, Augen-, Frauenärzte oder Urologen. Als Gesundheitsstadtrat setze ich mich seit Beginn meiner Amtszeit im Jahr 2009 dafür ein, dass die Verteilung der Ärzte neu gestaltet wird – ein dickes Brett! Hier ist eine klare Forderung an die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV), Berlin nach besonderen Kriterien, z.B. der Sozialstruktur, als Versorgungsregion neu aufzuteilen, um eine größere Versorgungsgerechtigkeit herzustellen.

Wie hat sich die ärztliche Versorgung in Neukölln in den letzten Jahren entwickelt? Hierzu wird keine entsprechende öffentliche Statistik geführt. Auch der Bezirk ist der letzte, der in den Informationsstrang der Kassenärztlichen Vereinigung einbezogen wird. Ich beobachte aber seit Jahren eine Abwanderung von Ärzten in Bezirke mit höherer Privatpatientenquote und anderer Bevölkerungsstruktur. Im Nordwesten des Bezirks gibt es zum Beispiel in einzelnen Kiezbereichen keinen einzigen Kinderarzt mehr. Hinzu kommt ein neues Problem für die gesundheitliche Versorgung in Neukölln. Der verstärkte Zuzug aus Südost-Europa stellt hohe Anforderungen an das Gesundheitsamt, die regionalen Krankenhäuser und die Krankenversicherung. Damit diese Herausforderungen gut bewältigt werden können, brauchen wir die Unterstützung des Senats, um Impfungen, flächendeckende Kariesprophylaxe und den Kinderschutz gewährleisten zu können. Mal eben „aus Tasche“, wie der Neuköllner sagt, kann das nicht erreicht werden.

Kann die Politik überhaupt Einfluss nehmen auf die ungleiche Verteilung von niedergelassenen Ärzten in Berlin?

Ja und nein. Denn das System ist eigentlich nicht darauf angelegt. Bisher soll die Verteilung der ärztlichen Versorgung durch die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen im Wege der Selbstverwaltung geregelt werden. Aber mit dem neuen Bundesversorgungsstrukturgesetz erhalten die Länder (endlich) ein Mitsprache- und in Teilen auch ein Beanstandungsrecht. Doch wenn sich die Kassenvertreter einigen, ist die Politik außen vor. Aus meiner Sicht eine unbefriedigende Regelung, die in den unterversorgten Bezirken nicht weiter hilft. Bezirke wie Neukölln schauen da in die Röhre. Ich wünschte mir eine stärkere Beteiligung an der Entscheidung, in welchen Ecken der Stadt sich Ärzte niederlassen.

Herr Liecke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch