Die Maschine ist gelandet. Die Passagiere nehmen ihr Gepäck und verlassen einer nach dem anderen das Flugzeug. Plötzlich steigt ein Gorilla aus dem Flugzeug. Ein Aufruhr. Sicherheitspersonal. Dawai. Dawai. Dann Entwarnung. Es ist ein Mann im Gorillakostüm. Ein verblüffender Scherz! Nicht ungefährlich in Zeiten des Eisernen Vorhangs. Es bleibt nicht die einzige Aktion. Immer wieder taucht er im Gorillakostüm in Moskau auf, auch auf dem Roten Platz. Er wird verhaftet, wieder freigelassen. Ein bisschen verrückt muss er wohl sein, aber harmlos, entscheidet die Moskauer Polizei. Der Name des Mannes: Hunter Doherty »Patch« Adams. Sein Leben als Arzt, Clown und Politaktivist wird später von Hollywood mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt. Patch Adams möchte Brücken bauen, Lebensfreude und Kreativität in Krankenhäuser einziehen lassen. Auf seine Initiative hin besuchen Clowns Kinder in Krankenhäusern. In Deutschland wird dieses Projekt vor allem durch den Arzt und Kabarettisten Eckart von Hirschhausen beworben. Zwar wird der Film dem wahren Adams und seiner Geschichte nicht gerecht. Eines hat der Film aber mindestens erreicht. Er hat Una Gonschorr auf Adams aufmerksam gemacht. Heute ist Patch Adams Schirmherr des von ihr gegründeten Vereins: namu-Art for Life Network e.V. Aber eines nach dem andern.
Jahre nach der Gorilla-Aktion. Wieder in Moskau. Leute bleiben auf der Straße stehen und sehen zu, wie eine Gruppe bunter Clowns und eine Frau im Schmetterlingskostüm in den Bus steigen. Die Clowns kommen aus aller Herren Länder –Japaner, Italiener, Amerikaner… Unter ihnen auch ein ganz großer Mann mit Schnauzbart und gutmütigem Blick. Es ist Patch Adams. Seit seiner »Go-ue-rilla-Aktion« war er unzählige Male in Russland, um als Krankenhaus-Clown Kindern zu helfen.
Auch dieses Mal geht es um Hilfe für schwerstkranke Menschen. Auf dem Programm steht der Besuch eines Hospizes für Erwachsene. Dreieinhalb Stunden dauert die Reise im Bus. Patch setzt sich neben die Frau im Schmetterlingskostüm. Der Schmetterling heißt Aponi, die Trägerin des Kostüms ist Una Gonschorr. Sie kommt aus Deutschland und hat den Schmetterling schon um die halbe Welt geschickt. Nachdem sie ein Musical von Michael Ende auf die Bühne gebrachte hatte, traten sie sie und ihre Mitstreiterinnen als zwölf singende Schmetterlinge in Kliniken vor kranken Kindern auf. Daraus entwickelte sich die Figur des Schmetterlingmädchens Aponi. Gemeinsam mit Holger Trenz schrieb sie das Musical „Aponi“, eine musikalische Reise um die Welt für Kinder. »Ein Projekt mit einer solchen Qualität findet man nicht so oft«, sagt Dr. Hans Willner, Chefarzt der Kinder- und Jugendpychiatrie des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin-Tempelhof. Seit dem Erfolg des Musicals ist »Aponi« eine Art Botschafter der Lebensfreude. Überall, wo Una hinreist nimmt sie dieses Kostüm mit. „Die Flügel sind so groß und nehmen so viel Platz weg, da ist es praktischer, ich trage sie“, sagt sie lächelnd, „und wenn ich die Flügel schon trage, dann kann ich auch die Fühler aufsetzen.“ Den Anstoß gab ihr Patch Adams. Er erzählte ihr von seinen frühen Gorilla-Aktionen. Aber ein Schmetterling ist kein Gorilla. Die Leute sind eher fasziniert, erzählt Una: „Wenn ich in Ägypten lande, wo ich oft auftrete, dann kennen die mich schon und rufen dann: ‹Farascha, Farascha›, Schmetterling.« Seit zwei Stunden sind Una, Patch und die vielen Clowns nun schon unterwegs. Der Bus führt über Dörfer und kleinere Orte. Una hat Patch erst vor einigen Monaten zum ersten Mal getroffen. »Aber es ist so, als würden wir uns schon ewig kennen.«, sagt sie über Patch. Sein Engagement und seine tragische Geschichte berührt sie.
Dr. Hunter »Patch« Adams gründete 1972 das »Gesundheit! Institute«. Er versucht in den USA einen ganzheitlichen und auch freien Zugang zu medizinischer Versorgung unabhängig von Herkunft, Einkommen und Erkrankung zu etablieren. Gesundheit ist für Patch nicht losgelöst von der Gesundheit der Familie, der Gemeinde, in der wir leben, des Landes und des Systems. Doch die Offenheit und sein tiefes Mitgefühl für die Patienten des Institutes werden durch eine schreckliche Tragödie auf eine harte Probe gestellt. Einer der besten Freunde und Kollegen von Dr.Adams behandelt im Institut einen psychisch kranken Menschen. Eines Tages bittet ihn dieser junge Mann um einen Hausbesuch. Nichtsahnend folgt er dieser Bitte und wird von diesem Patienten erschossen. Una erfährt durch den Film davon, wie dieses Erlebnis Patch Adams an seinem Mitgefühl zweifeln ließ und dass er kurz davor war, seine Tatkraft zu verlieren und alles aufzugeben, was er aufgebaut hatte. Doch dann erlebt er etwas, das ihm Mut gibt weiterzumachen. Patch erzählt, dass er nach dem Tod seines Kollegen am Boden war, sich Vorwürfe machte und alles in Zweifel stellte. War es richtig, sich für andere einzusetzen? War es richtig, solches Mitgefühl selbst für den Mörder seines Freundes zu empfinden? Plötzlich kam ein Schmetterling und tanzte vor seiner Nase herum. Und Patch musste an die Lederjacke denken, die sein ermordeter Freund immer getragen hatte – mit einem gestickten Schmetterling auf dem Rücken. »Es mag vielleicht mystisch übertrieben klingen,«, sagt Patch, »aber in diesem Moment war es für mich die Verbindung mit einem Freund, der sagt: ‹es ist okay, es geht weiter, es gibt eine Verwandlung, und mach nun auch weiter›.«
Als Una durch den Film von diesem Erlebnis mit dem Schmetterling erfährt, schreibt sie einen Brief an Dr. Adams, erzählt ihm von ihrem Schmetterling »Aponi« und davon, was sie mit »namu« in Krankenhäuser tun und ob er ihr Schirmherr werden wolle. Er antwortet, sie treffen sich in Dresden, sehen sich das erste Mal. Und nun besuchen sie unweit von Moskau ein Hospiz.
Una kennt Hospizarbeit in Deutschland, die Hospizarbeit in Russland kennt sie bisher nicht. Mit ihrem Verein »namu – Art for Life Network« engagiert sie sich für kranke und sterbende Kinder nicht nur in Deutschland, auch in Ägypten. Und als wäre das nicht schon genug, fördert sie darüber hinaus auch das Ricam Hospiz. In verschiedenen Besetzungen tritt sie immer wieder im Ricam Hospiz auf, singt mit anderen Musikerinnen A-Cappella oder nur dezent von der Gitarre begleitet. Gleich, ob vor einem einzigen Patienten am Bett oder für ein kleines Publikum im Ricam-Hospiz-Wintergarten oder in einer Kirche, in deren Reihen trauernde Angehörige sitzen. Wer ihren Gesang hört, wird berührt. In den Stimmen der namu-Sängerinnen und Sänger steckt pure Lebenskraft, Freude und viel Heilsames.
Als die Clowns endlich ankommen und das Haus betreten, wissen Una und Patch sofort, dass sie nicht in einem Hospiz sind, wie sie es kennen. Beißender Gestank steigt ihnen in die Nasen. Patienten liegen auf dünnen Matratzen in Metallbetten. Nur einige wurden überhaupt mobilisiert. Es ist ein Sterbehaus, ein Siechenheim, kein Hospiz. In Russland steht die Hospizbewegung noch ganz am Anfang. Bis vor kurzem war sogar das Wort Hospiz tabu. Hospize sind staatliche Einrichtungen. Anders als in Deutschland dürfen Spender nicht direkt ans Hospiz spenden, sondern müssen ihr Geld der lokalen Gesundheitsverwaltung überweisen. Sie entscheidet dann, wo das Geld verwendet wird.
Eine Stunde sitzt Una am Bett einer älteren Dame. Sie verstehen einander nicht mit Worten, es sind Blicke und Gesten. Es ist die Verbindung zwischen Menschen, es ist Zuwendung und Mitgefühl. Angesichts des Elends vergleicht sie sich gern mit dem Mädchen, das am Meer Tausende gestrandete Seesterne entdeckt und einen nach dem anderen ins Meer zurückwirft. Ein alter Mann am Meer sieht ihr zu und sagt: ‹Mädchen, das bringt doch nichts, du kannst sowieso nicht alle retten.› Und das Mädchen hebt einen Seestern auf und antwortet: ‹Für diesen einen bringt es etwas› und wirft ihn ins Meer. Und was hat dieser Besuch für die Menschen dort gebracht? »Wir können nicht überblicken, was im Schatten unserer Handlungen geschieht«, antwortet Una.
Auf dem Rückweg nach Moskau ist es still im Bus. Niemand redet. Alle sind erschöpft. Offensichtlich ist es harte Arbeit, Seesterne ins Meer zu werfen. Manchmal braucht es dafür einen Schmetterling, der einem sagt: »Mach weiter!« Una weiß, dass sie weiter helfen wird. Wie Patch Adams und wie ihre »namu«-Mitstreiterinnen Manuela Bayer, Heike Schupp , Ulrich Schumann und die vielen anderen. Das ist gut! Auch für das Ricam Hospiz. DANKE Aponi!