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Hinterbliebene erzählen: Wir heirateten im Krankenhaus

ein Gespräch mit Marion Fehrmann

lz: Frau Fehrmann, der neunte Todestag Ihres Mannes war Anfang des Jahres. Was haben Sie an diesem Tag getan?

Mein kleiner Enkel hat meinen Mann noch kennengelernt, und als er vielleicht drei Jahre alt war, da meinte er: „Der Opa Micha hat doch immer so gerne Bier getrunken. Wollen wir ihm nicht eine Flasche Bier zum Friedhof mitnehmen?“ Und seitdem gießen wir immer eine Flasche Bier auf die Wiese.

lz: Das klingt ja eher heiter…

Wir sind Atheisten. Er war ja Physiker, ich Mathe- und Physiklehrerin. Für mich ist es einfach praktisch zu wissen, diese Urne, diese Asche liegt da eben auf dieser Wiese und ich brauche mich darum, nicht zu kümmern.

lz: Was haben Sie getan, als Sie und Ihr Mann wussten, wie es um ihn steht?

Als wir erfuhren, dass es keine Heilung mehr gibt, sind wir von Prenzlauer Berg, wo wir wohnten, nach Mahlsdorf zu Freunden gezogen. Dort gibt es ein Haus und einen Garten, wo man sich vom Großstadttrubel verabschieden konnte und in der Natur einen Halt fand. Wir haben versucht, noch so viel wie möglich gemeinsam zu erleben. Teilweise war es problematisch für mich, weil er nicht über das sprechen wollte, was kommen würde.

lz: Sie haben vor der ersten Hirn-OP im Krankenhaus geheiratet. Das war sicher eine spontane Entscheidung, oder?

Wir hatten immer gesagt, dass wir im Alter heiraten würden. Dann kam die OP und da war mir klar, jetzt müssen wir heiraten. Und das möglichst noch heute. Sie haben sich im Krankenhaus sehr bemüht, noch einen Standesbeamten zu finden, der Sonntagnachmittag ins Krankenhaus kommt und die Trauung vornimmt. Das Kuriose geschah dann am nächsten Tag, als mein Mann von der OP erwacht war Ich kam mit meiner Tochter ans Bett, und das erste, was er sagte, war: »Marion, wir müssen die Ehe annullieren!« Ihm ging es nach der OP wesentlich besser und er dachte, er sei nun wieder gesund.

lz: Das hat Ihnen wahrscheinlich auch noch mal ganz viel Hoffnung gegeben?

Man hofft immer irgendwie auf ein Wunder und erst einmal haben wir die Zeit nach der OP genossen, wo alles wieder so halbwegs normal war. Doch dann wuchs ja der Tumor auch wieder. Wir haben seinen 50. Geburtstag noch mal ganz groß hier im Garten gefeiert. Er war ja noch bis zum Schluss Fahrradbeauftragter und auch ADFC-Vorsitzender. Alle haben sich sehr liebevoll um ihn gekümmert. Und danach ging es eben wirklich bergab und auch relativ schnell.

lz: Waren Sie bei ihm, als er ging?

Ja. Das war ganz schön, meine Tochter war mit meinem Schwiegersohn da und dann war noch seine Ärztin mit dabei, mit der wir schon jahrelang befreundet sind. Die Mitarbeiterinnen im Hospiz hatten das alles schön hergerichtet. Es war so friedlich. Das Fenster war auf, die Gardine wehte im Wind. Noch in der gleichen Nacht habe ich seinen Stellvertreter angerufen, und der hat Rund-Mails geschickt, das fand ich sehr beachtlich. Und dann kamen am nächsten Tag tatsächlich die jungen Leute vom ADFC und auch die Parteigenossen von der SPD ans Totenbett und haben sich von ihm verabschiedet. Dann habe ich noch einen guten Freund von ihm angerufen und hab ihm gesagt: »Wenn du ihn noch mal sehen willst…« Er war mir auch ganz dankbar, dass er so etwas erleben konnte.

lz: Was fühlten Sie, nachdem er gestorben war?

Nach anderthalb Jahre des Auf und Ab der Krankheit habe ich den letzten Atemzug eigentlich auch als Erleichterung empfunden, muss ich sagen. Weil es ja keine Hoffnung mehr gab, keine Zukunft mehr. Ich hab mich ja selber auch so aufgegeben. Ich habe ihn bis zum Schluss begleitet. Das habe ich auch gerne gemacht, aber als es vorbei war, wusste ich, dass ich wieder ins Leben zurückkehren kann. Ich hab es als Chance gesehen, jetzt mein Leben irgendwie weiter zu führen.

lz: Wenn Sie zurückblicken, was ist Ihnen besonders in Erinnerung?

Am 12.Februar 2003 ist mein Mann im Ricam Hospiz verstorben, nachdem er dort 6 Wochen seine letzten Tage verbracht hat. Zu dieser Zeit wurden auch Aufnahmen von Patienten gemacht im Rahmen eines Fotoprojektes von Walter Schels* und Beate Lakotta, die im Buch »Noch mal leben vor dem Tod« veröffentlicht wurden. Und genau das empfand ich immer wieder als wertvolle Erinnerung. Ich kann mir die Bilder immer wieder ansehen und sie auch anderen zeigen. Dieses Projekt war mir auch immer wieder eine große Hilfe. Vom Lebenden hat man ja solche Fotos, aber wenn jemand gestorben ist, dann macht man in der Regel keine Fotos mehr. Und dass sie es wirklich so getroffen haben, dass er aussah, wie ich ihn die letzten Jahre kannte, so ein Bild, als wenn er schlafen würde. Das war etwas ganz Besonderes.

lz: Frau Fehrmann, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
*Die Fotos von Walter Schels wurden rund um den Globus in Galerien ausgestellt.