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Hinterbliebene erzählen: Du bist ein treuer Freund

Ein Gespräch mit Götz Richter

lz: Herr Richter, spielte in Ihrer Partnerschaft die Frage eine Rolle: Was machen wir, wenn jemand von uns beiden ernsthaft krank wird und es darum gehen wird, wichtige Entscheidungen zu treffen?

Explizit nicht. Das kam erst zur Sprache, als er krank wurde. Einmal sind wir in Stahnsdorf spazieren gewesen und haben so vor uns hin gesagt: „Hier können wir uns ja anonym verscharren lassen.“ Nach dem Motto: Wenn wir tot sind, sind wir tot.« Aber als es konkret wurde, entschied er sich doch für einen Urnenplatz auf dem Potsdamer Friedhof. Noch heute sehe ich uns beide zu Hause auf dem Sofan sitzen, der Bestatter zu Besuch,n und dann ging es darum, wie Dieter sich die Trauerfeier vorstellte, welches Sargmodell er haben wollte…, und so sind wir da alles durchgegangen, das hat vielleicht zwei Stunden gedauert. Und dann ging der Bestatter und da haben wir uns beide schweigend angeguckt, und wir wussten, nur Autokauf ist schöner. Die Patientenverfügung haben wir dann natürlich auch aufgesetzt. Dieter hat auch einen Sohn, aber für ihn war es wichtig, dass ich die Entscheidungen treffe, bis zu seinem Tod. Dann hatte er eine CD aufgenommen für die Beerdigungsmusik und in dieser Zeit, da war keine Trauer…

lz: So wie Sie es schildern, klingt es auch eher wie eine Reisevorbereitung…

Ja, genau, so war es! Die ganzen Fragen mussten ja erst einmal geklärt werden: Was brauchen wir noch an Dokumenten? So leicht kommt man ja nicht unter die Erde.

lz: Welche Erinnerungen haben Sie an die letzte Zeit, die Sie gemeinsam verbracht haben? Der Bauchspeicheldrüsenkrebs wurde spät festgestellt. Und wie er es immer gemacht hatte, wenn er krank war, wollte er alles allein bewältigen. Aber irgendwann kam er zu Hause allein einfach nicht mehr zurecht und da willigte er ein, ins Hospiz zu gehen. Als ich ihn da das erste Mal besuchte und ins Zimmer trat, lag er da und strahlte die Leute an und in dem Moment wusste ich: „Gott, ja, das war die richtige Entscheidung, auch für ihn.“ Es bedeutete nicht nur eine Entlastung für mich, sondern er spürte, dass ihm hier geholfen wird. Ich konnte im Hospiz bleiben, solange ich wollte, auch nachts. In der Küche bekam ich auch immer etwas zu essen und immer meinen Kaffee, konnte mich auch mal in den Wintergarten setzen, mich mit anderen unterhalten, immer mal raus auf die Terrasse gehen. Oder ich nahm mir eine Decke, legte mich bei Dieter im Zimmer hin und döste. Dann wurde es langsam immer schlechter. Er konnte nicht mehr aus dem Stuhl raus, wollte nicht mehr viel.

lz: Haben Sie sich bewusst voneinander verabschiedet?

Wir haben es immer ein wenig flapsig gehalten, mit viel Humor. Aber drei Tage vor seinem Tod, da sagte er zu mir: „Du bist ein treuer Freund!“ Und das war schon viel für ihn! Und dann an einem Tag, er konnte schon nicht mehr sprechen, hat er immer seinen Arm so seltsam hochgehoben. Ich wusste nicht, was er von mir wollte. Ich bin zu ihm hingegangen und dann hat er mich umarmt. Einen ganzen Moment. Das war der Abschied. Dann war es auch gut und er musste sich wieder mit sich selbst beschäftigen. Ich habe es danach auch vermieden, ihn zu berühren. Ich wollte ihm seine Ruhe lassen und ihn nicht immer wieder »zurück holen«. Ich hatte das Gefühl, er könne dann nicht gehen, weil ich ihn nicht lasse.

lz: Unter welchen Umständen ist Ihr Partner gestorben? Den Abend bevor er starb, war ich nach Hause gefahren, um mich auszuruhen. Morgens gegen halb sechs Uhr kam dann ein Anruf, dass ich doch bitte kommen sollte, und ich bin hingefahren. Da war er wieder so unruhig. Er bekam eine Morphinspritze und schlief dann wieder ein. Ich schlief auch noch eine Stunde. Dann setzte ich mich neben ihn und es war eine ganz friedliche Stimmung. Er atmete ruhig, ich war nochmal kurz draußen, kam zurück und mit einem Mal setzte die Atmung aus. Dann kam so ein tiefer Seufzer. Und ich war froh, dass es nicht in der Nacht passiert ist, sondern ich wirklich bis zum letzten Atemzug dabei sein konnte und auch sehen konnte, wie ruhig er hinübergeglitten ist. Ohne Krämpfe und Kämpfe.

lz: Wie lange sind Sie bei ihm geblieben?

Ich blieb eine Weile sitzen… eine gefühlte halbe Stunde. Dann bin ich auf den Flur gegangen. Ich hatte das Angebot, so lange zu bleiben, wie ich wollte. Bis abends, bis der Bestatter ihn abgeholt hat, bin ich geblieben. Ich habe eigentlich den ganzen Tag noch mit ihm verbracht, bin zwischendurch immer mal raus aus dem Zimmer, habe Kaffee getrunken und kam wieder rein. Das fand ich sehr wichtig für mich: diese Zeit zum Begreifen… auch noch mal Anfassen, zu merken, jetzt wird er kalt… das fand ich ganz wichtig.

lz: Wann kam die Trauer zu Ihnen?

Am Tag nach seinem Tod musste ich die Beerdigung vorbereiten, die Karten schreiben… man war ständig am Rotieren. Die Trauer kam das erste Mal massiv bei der Beerdigung. Wirkliches Abschiednehmen! Im Hospiz konnte ich ja immer wieder rein gucken und er war da noch da. Nach der Beerdigung im Januar bin ich gleich mit Freunden in den Skiurlaub gefahren. Und auch danach habe ich sehr viel unternommen, manchmal zu viel. Freunde meinten, ich solle mir doch Zeit für mich lassen. Das hat mir aber Angst gemacht. Es war für mich auch wichtig, selbst wieder Leute einzuladen. Einkaufen, kochen… Es war nur immer komisch, wenn die Gäste wieder weg waren. Mit ihm konnte man damals eben noch mal über den Abend reden, ein wenig lästern. Ich habe keine neue Partnerschaft… Ob sich das je ergeben wird, weiß ich nicht.

lz: Was hat Ihnen Kraft gegeben?

Ich denke, im Großen und Ganzen hat es mir weitergeholfen, gemeinsame Dinge mit Freunden zu unternehmen, in der Natur zu sein, mit dem Boot, das wir gemeinsam hatten, herumzufahren und auch mal Rotz und Wasser zu heulen. Die Trauer, sie ist heute noch da, aber nicht mehr ganz so scharf. Ich vergleiche das immer mit einer Wunde. Am Anfang blutest du, und dann fangen die Schmerzen richtig an und dann pocht es noch und irgendwann ist nur noch die Narbe da und bei Wetterumsprüngen fängt es noch mal an, weh zu tun

lz: Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Richter.