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Das Vermächtnis dreier Britinnen

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
herzlichen Glückwunsch zur Gründung der Stiftung! Die Stiftung wird die Arbeit des ersten stationären Hospizes in Berlin sichern. Sie wird helfen, die Betreuung von Patienten und Familien voranzubringen. Und sie wird Motivation für Bürger sein, schwerstkranken Menschen Zeit oder Geld zur Verfügung zu stellen. Als britischen Botschafter freut mich dies besonders. Großbritannien hat zu den wichtigsten Entwicklungen im Gesundheitswesen entscheidend beigetragen. Ich will drei historische Stationen nennen, die in der Hospizbewegung gipfeln. Bei allen steht eine britische Frau im Mittelpunkt.

Der britische Botschafter, Simon McDonald, legt einen Teil des Grundsteins der Ricam Hospiz Stiftung

Der britische Botschafter, Simon McDonald, legt einen Teil des Grundsteins der Ricam Hospiz Stiftung

Die Modernisierung der Krankenpflege im 19. Jahrhundert ist untrennbar mit Florence Nightingale verbunden. Florence Nightingale emanzipierte die Krankenpflege gegenüber der Medizin. Sie reformierte die britische Gesundheitsfürsorge. Sie verschaffte der Pflege gesellschaftliche Anerkennung. Und sie entwickelte ein professionelles System für die Ausbildung von Pflegekräften. Florence Nightingale hatte besondere Beziehungen zu Deutschland. Sie war eng mit dem preußischen Botschafter in London, Christian von Bunsen,
befreundet. Er ermutigte sie, ihr Leben der Krankenpflege zu widmen. Er selbst beteiligte sich an der Gründung eines der ersten modernen Krankenhäuser in London. Das Haus beeindruckte sie. Sie besuchte auch die Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf, das erste Diakonissenhaus in Deutschland. Sie lobte es als ein Vorbild für Großbritannien.

Seit ihrem Einsatz für Verwundete im Krimkrieg war Florence Nightingale selbst chronisch krank. Ihre Mobilität war eingeschränkt. Sie konzentrierte sich deshalb auf das Sammeln und die Analyse von Pflegestatistiken. Dank ihrer Vorarbeiten entwickelte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine moderne Pflegewissenschaft. Theorien und Forschungen zur Kranken-, Alten- und Heilerziehungspflege entstanden.

Die britische Pflegewissenschaftlerin Nancy Roper entwickelte in den 1970er Jahren in Edinburgh eine einflussreiche Pflegetheorie. Bis heute wird diese in der Praxis angewandt. Ihr „Modell des Lebens“ betrachtet den Menschen ganzheitlich und nicht nur beschränkt auf dessen Erkrankung. Die von Florence Nightingale angestoßene und von Nancy Roper weiter entwickelte Modernisierung der Pflege führten letztlich zur
Hospizbewegung. Die britische Krankenpflegerin und Ärztin Cicely Saunders ist deren Gründerin. Sie wurde an der von Nightingale gegründeten School of Nursing am King’s College London ausgebildet. Cicely Saunders war davon überzeugt, dass Sterbende und deren Familien begleitet werden müssen. Medizinisch und psychologisch. Grund für ihre Überzeugungen war der medizinische Fortschritt, vor allem die Möglichkeiten der Lebensverlängerung. Viele Menschen in der westlichen Welt starben nun nicht mehr zu Hause, sondern im Krankenhaus. Tod wurde tabuisiert und Sterbende alleine gelassen. Saunders wollte wieder auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingehen.

1967 gründete Saunders das weltweit erste moderne Hospiz, das St Christopher’s Hospice in London. Es gehört heute zu den größten Einrichtungen der Palliativmedizin. Mich freut sehr, dass heute abend dessen ärztlicher Leiter, Dr Nigel Sykes, anwesend ist. Nach dem Vorbild von St Christopher’s gibt es heute weltweit über 8.000 Hospize, davon 220 in Großbritannien, 180 in Deutschland. Es werden immer mehr. Cicely Saunders, Florence Nightingale und Nancy Roper, drei britische Frauen, die für drei wichtige Entwicklungen im Gesundheitswesen stehen. Ihr Erbe beeinflusst bis heute die Krankenpflege, die Hospiz- und die Palliativbewegung. Alle drei waren zunächst Krankenpflegerinnen, alle drei stammten aus der Mitte der Bevölkerung. Sie stehen damit für zwei Komponenten der Krankenpflege, die sich hervorragend ergänzen:
Einerseits bürgerliches Engagement. Über 100 ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen das Ricam Hospiz; im St
Christopher‘s Hospice London sind es mehr als 1000. Andererseits Professionalität, in der Forschung und in der Lehre. Das Ricam Hospiz hat ein Seminarzentrum, das Fachpersonal und Öffentlichkeit Weiterbildungen anbietet. St. Christopher‘s führt die weltweit größte akademische Studie zu Depression durch.

Als britischen Botschafter in Deutschland freuen mich die engen Verbindungen zwischen dem Ricam Hospiz und dem St Christopher’s Hospice. Mich freut es auch besonders, dass eine führende deutsche Palliativmedizinerin, Dr. Claudia Bausewein, am Cicely Saunders Institut des King‘s College forscht und lehrt. Das britische Außenministerium hat sie letztes Jahr für einen Film interviewt, in dem wir Menschen vorstellen,
die nach Großbritannien kamen, um dort zu leben oder zu arbeiten. Ich wünsche der Stiftung eine erfolgreiche Zukunft.