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Darf ich lachen, wenn Du gestorben bist?

Das Annehmen des Verlustes von Menschen, die wir lieben, gehört zu einer der schwersten Aufgaben, denen wir uns in unserem Leben gegenübersehen. Wir müssen akzeptieren, dass wir nichts festhalten können, auch wenn wir es noch so verzweifelt versuchen. Es bleibt uns nichts anderes, als zu lernen, mit dem Schmerz umzugehen. Dabei ist der Trauerprozess von großer Bedeutung. Trauer braucht vor allem ausreichend Zeit, um tiefe Verletzungen heilen lassen zu können. Dabei durchlaufen wir verschiedene Phasen, zunächst Schock und Verneinung, dann aufbrechende Gefühle und den Versuch, den Kontakt zu dem Verstorbenen wieder herzustellen, bis hin zu einer tatsächlichen Akzeptanz. Akzeptieren heißt dabei vor allem, loslassen zu lernen.
Doch loslassen zu können, das sagt sich so einfach. Was kann uns dabei helfen? Zunächst einmal, sich ausreichend Zeit zu geben. Es ist in Ordnung, Schmerz, Gefühle und Tränen zu zeigen. Aber genau so in Ordnung ist es, in dieser schmerzvollen Zeit auch mal zu lachen. Dazu findet sich in der Bibel beim Prediger Salomo ein sehr lebensnaher Hinweis: „Ein Jegliches hat seine Zeit, Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit.“ Wer in seiner Trauer erstarrt ist, vor Schmerz und Erinnerungen nicht mehr aus der Erstarrung findet, für den kann es sehr hilfreich sein, sich auch einmal an andere Seite des Lebens zu erinnern: Die Freude, das Lachen, den Humor.

Tanzen auf dem Friedhof
Bei Beerdigungen wird gar nicht so selten gelacht, eine Reaktion des Körpers auf die oft übermäßig inszenierte Ernsthaftigkeit. Da reicht dann schon ein kleines Ereignis wie der oben geschilderte Kommentar über die Großmutter, um eine Gegenreaktion zu erzeugen. Dies ist zunächst ein Ablachen von Anspannung, kann aber auch ein Ausdruck von Freude sein, dass die Leidenszeit des Verstorbenen und der Angehörigen mit dem Tod nun ein Ende findet.

Wie etwa auf dem Friedhof in Aachen, als die katholische Afrikanerin Augustine va Kintimba nach heimatlichem Brauch beerdigt wurde. Die Hinterbliebenen trugen bunte Kleidung, tanzten, trommelten und sangen freudige Lieder. Denn die Tote war für sie nun von Schmerzen erlöst und in einer besseren Welt. Aus Freude wurde der Sarg in die Höhe geworfen und wieder aufgefangen. Was war die Folge? Die Stadtverwaltung verhängte ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen die kommunale Bestattungsverordnung. Begründung: „Die Beisetzung unter Trommelbegleitung erfolgte nicht in der Form eines ruhigen Trauerzuges, sondern tanzenderweise, wobei der Sarg mehrmals hochgeworfen wurde.“ Nein, mit dem Tod darf man in Deutschland nicht lachen. Jedenfalls nicht absichtlich auf dem Friedhof. Glücklicherweise gibt es dafür den Leichenschmaus, auch „das Fell versaufen“ genannt, bei dem es oft hoch her geht und mit einem Lachen ausgedrückt wird: Das Leben geht weiter!

Dann lach ich mich doch lieber tot!
Wer dort lachen kann, wo er hätte heulen können, bekommt wieder Lust am Leben. Diese Erkenntnis ist sogar wissenschaftlich untersucht. Auslöser war der Fall des schwer erkrankten Journalisten Normen Cousins, der Ende der siebziger Jahre in einem amerikanischen Krankenhaus mit einer chronischen Wirbelentzündung mit stärksten Schmerzen im Sterben lag. Eines Tages kam er auf die Idee: Wenn ich schon sterben muss, dann will ich mich wenigstens tot lachen! Und so ließ er sich Cartoons und Videos ans Krankenbett bringen und lachte. Die überraschende Reaktion war, dass er nach kurzem heftigen Lachen viel besser schlafen konnte und seine Schmerzen abnahmen. Dies konnte auch in seinem Blut festgestellt werden, schmerzstillende und immunstärkende Hormone hatten sich vermehrt. Norman Cousins wurde geheilt und starb 26 Jahre später an einem Herzinfarkt. Dass Lachen die beste Medizin sei, ist ja nichts Neues, aber dass dies nun wissenschaftlich belegt wird, ist ein Fortschritt der Gelotologie (von „gelos = griech: „Lachen“), der Wissenschaft von der Wirkung des Lachens. Mit diesen Ergebnissen wird Humor nicht nur erforscht, sondern auch als therapeutischer Humor eingesetzt, um Krisensituationen besser bewältigen zu können.

Kann man den Tod abbestellen?
Trotzdem zu lachen heißt also, trotz Trauer und Schmerz, zu versuchen auch die komischen Seiten zuzulassen. Lachen angesichts von Sterben und Tod sind gar nicht so selten, wie man glaubt. Nur trauen es sich manche nicht, weil sie denken, sie würden damit zu wenig Mitgefühl zeigen. So erlebte ich es beim Sterben meiner Mutter: Sie atmete sehr schnell und flach, der Arzt blickte ernst, die Pflegerinnen auch. Es war mit ihrem unmittelbaren Ableben zu rechnen. Plötzlich stockte ihr Atem. Ich erschrak. Darauf erfolgte ein tiefer Luftzug, meine Mutter öffnete die Augen und fragte in die Runde: „Kann man den Tod wieder abbestellen?“ (Da sie in einem betreuten Wohnstift lebte, musste man hier fast alles bestellen oder wieder abbestellen.) Nach einem Moment der Verblüffung nickte ich und sagte: Natürlich! Da lachte meine Mutter und sagte, ausgezeichnet, dann bringt mir doch mal einen Kaffee! Arzt, Pflegerin und ich blickten uns an und brachen in erlösendes Lachen aus.

Humores: Alles fliesst!
Wichtig ist es, beim Prozess des Trauerns nicht völlig die Distanz zu verlieren. Dabei hilft uns der Humor. Humor heißt zunächst nicht unbedingt, dass man lacht. Es ist auch eine Einstellung zum Leben, die durch einen Perspektivwechsel auch andere Sichtweisen ermöglicht. Angesichts eines Schicksalsschlages ist Humor oft die einzige Methode, um düstere Situationen zu erhellen, indem neue Perspektiven aufgezeigt werden und das Gleichgewicht zwischen Trauer und Freude wieder hergestellt wird. Wie beispielsweise der Schriftsteller Karl Julius Weber, der schon zu Lebzeiten die Inschrift seines Grabes festlegen ließ: „Hier liegen meine Gebeine, ich wünscht´, es wären deine!“

Einer der wichtigsten Effekte von Humor ist es, neue Lebensfreude zu schenken. Es tut einfach gut, sich über etwas Komisches zu amüsieren oder herzhaft zu lachen, am besten in guter Gesellschaft, denn Lachen steckt bekanntlich an. Humor vermag neuen Lebenswillen zu mobilisieren und lässt uns neue Hoffnung schöpfen. Das Wort Humor stammt von dem lateinischen Begriff „Humores“ = „Feuchtigkeit“, „Saft“. Mit Humores waren in der Antike die Körperflüssigkeiten gemeint, die im Menschen fließen: Galle, Schleim, Blut. Wenn diese Flüssigkeiten ungestört fließen konnten und sich in Harmonie befanden, so verfügte der Mensch über Humor. Humor ist also ein Zeichen von Gelöstheit. Diese Gelöstheit kann dadurch geschehen, dass wir uns für einen Moment von einem leidvollen Ereignis lösen, eine Distanz dazu einnehmen, uns dadurch entlasten und neue Energie schöpfen. Wie bei den Cartoons des Zeichners Karl-Horst Möhl, der an Kehlkopfkrebs erkrankte und im Frühjahr 2009 starb. Er hielt seine Erfahrungen in Karikaturen fest und wollte Patienten, denen es ähnlich geht wie ihm, Mut machen und Spaß bereiten. Humor ist bekanntlich, wenn man trotzem lacht!

Eine laute Kurzmeditation
Was ist Lachen? Zunächst nichts anderes, als schnelles kraftvolles Atmen, und zwar mit dem größten Muskel in unserem Körper: dem Zwerchfell. Beim Lachen verrichten wir Schwerstarbeit, von den 356 Muskeln unseres Körper werden etwa 80 beim Lachen aktiviert. Deshalb ist Lachen auch anstrengend und eine Minute Lachen entspricht zehn Minuten Joggen oder 45 Minuten Entspannungstraining. Durch das intensive Atmen wird das Blut belüftet, die Muskeln angespannt und wieder entspannt, und Substanzen wie Endophine, die Glückshormone, vermehrt ausgestoßen. Lachen ist eine laute Kurzmeditation, mit der wir zum einen den Körper aktivieren, zum anderen uns aus momentanen Gedanken und Beurteilungen herauskatapultieren können. Und wenn es nur für Sekunden ist, so kann dies doch eine immense Wirkung haben. Es kann wie eine Reinigung sein, wie ein Blick aus dem Fenster, um zu verstehen, es gibt noch etwas anderes auf der Welt. So wie ich dies als Hospizhelfer bei Frau S. erlebte. Wenn wir uns begegneten, wusste sie immer einen Witz zu erzählen, wie zum Beispiel diesen: „Der Tod klopft bei Johannes Heesters und seiner Ehefrau Simone an. Heesters öffnet, blickt den Tod an und ruft: Schatz, für dich!“ Frau S. konnte darüber so laut lachen, dass im Nebenzimmer mitgelacht wurde…